Auf einem stillgelegten Betriebsgelände nahe des ehemaligen Nordbahnhofs sind wir mit dem Braunschweiger Bildhauer Magnus Kleine-Tebbe verabredet. Auf Schapers Hof im Gotenweg 10, wo früher Schornsteine gefertigt wurden, sind nun Steuerberater, Autohändler und Kreative ansässig. Auch Kleine-Tebbe hat Werkstatträume angemietet, mittlerweile ist er seit 23 Jahren hier.
In zwei Hallen, sieben Überseecontainern und auf dem Hof stehen, liegen und hängen seine Werke in den verschiedensten Stadien der Entstehung. Manche passen in eine Hand, andere sind über zwei Meter hoch. „Mit meinem Arbeitsplatz bin ich sehr zufrieden“, erzählt der Künstler begeistert. „Hier ist immer gutes Tageslicht, das ist ganz wichtig für einen Bildhauer.“
Seit 1994 ist Kleine-Tebbe in Braunschweig tätig. Erst als Assistent des bekannten Bildhauers Jürgen Weber an der TU Braunschweig, später freiberuflich. Heute unterrichtet er zusätzlich in der Meisterschule für Steinmetze und Steinbildhauer in Königslutter. Mehr als 100 größere Werke hat Kleine-Tebbe in seiner Laufbahn bereits angefertigt, bei den kleineren hat er das Zählen aufgegeben, wie er sagt. „Ich würde mindestens drei Vortragsabende benötigen, um annähernd alles auflisten zu können.“
Seine Skulpturen und Plastiken fertigt der 57-Jährige aus Holz, Gips, Stein oder Bronze. Auf ein Material festlegen möchte er sich nicht. „Diese Vielseitigkeit, die habe ich mir erarbeitet.“ An der Bildhauerei begeistere ihn, dass sie umschritten werden wolle, sowohl gedanklich als auch mit dem ganzen Körper. Dennoch nehmen nahezu alle Arbeiten Kleine-Tebbes‘ ihren Anfang auf Papier. Ein Vorgehen, das er von seinem Vater, einem Architekten, gelernt hat. „Das gestufte Entwerfen hat den Vorteil, dass ich stärker auf Kundenwünsche eingehen kann“, erklärt er. „Es ist so, als würde man zum Schneider gehen.“
Dieses handwerkliche Selbstverständnis spiegelt sich auch in seiner Preisgestaltung wider: Kleine-Tebbe kalkuliere transparent die für die Anfertigung einer Skulptur oder eines Porträts benötigten Stunden. Angst vor seinen Preisen müsse niemand haben, betont er.
Kleine-Tebbes Werkstatt ist ein Zeugnis seiner Kreativität und Schaffenskraft – nahezu jede Oberfläche ist mit Figuren und Modellen bedeckt, die Wände zieren Skizzen, Studien und kolorierte Zeichnungen. Manuelle und elektrische Werkzeuge lugen aus Werkbänken hervor, in der Mitte des Raums ist ein mit Staubwänden abgetrennter Bereich, in dem sich diffus das Tageslicht sammelt. „Hier herrscht eine ganz eigenwillige Stimmung“, führt der Bildhauer aus. „In diesem kreativen Nebel sehe ich das Aufdringliche der vollen Regale nicht und kann besser arbeiten.“
Inmitten von Engeln, betenden Händen, Tauben, Frauenkörpern, Jesus am Kreuz und Büsten unterschiedlicher Personen wird die künstlerische Wurzel des gebürtigen Bremers sichtbar: „Meine Begabung scheint es zu sein, mich Menschen oder Situationen figürlicher Art zu nähern und dabei auf die christliche Religion zu verweisen.“ Häufig seien es Beobachtungen aus dem Alltag mit seiner Familie in Zusammenspiel mit Inspiration aus der Bibel, die Kleine-Tebbe in abstrahierter Form in seine Statuen und Skulpturen einfließen lässt. Dafür modelliert er die Figur zuerst aus Ton oder Plastilin, überzieht sie mit einer Silikonschicht und füllt diese Negativform mit Gips. Das so entstandene 3D-Modell wird anschließend in Stein gehauen oder in Bronze gegossen – „also eine Wahnsinnsarbeit“, fasst der Künstler zusammen. Und wenn im Prozess mal etwas schief geht? „Fehler sind nur Abwandlungen der ursprünglichen Idee“, sagt er fröhlich. „Manchmal können sie auch Geschenke sein.“
Als Geschenk betrachtet der Wahlbraunschweiger auch seine Arbeit: „Wenn ich mein Talent, mein Können zeigen kann – nicht aus Eitelkeit, sondern weil ich das Gefühl habe, wieder eine Grenze überwunden zu haben – freue ich mich darüber.“ Sein Anspruch sei es, das, was wir schön finden und uns emotional teilweise überwältigt, kontrolliert zu reflektieren. Das gelingt ihm mit einer Mischung aus Liebe zur Kunst, Interesse an Form, Logik und Pragmatismus.
Zu seinen bedeutendsten Arbeiten zählt Magnus Kleine-Tebbe die „Laodizea“, eine figürliche Marmorskulptur in Form einer liegenden Frauengestalt, die vor dem Braunschweiger Haus der Wissenschaft ausgestellt ist. Nicht nur, dass ihre Geburt 1600 Stunden gedauert hat, die Statue ist obendrein „ein Hingucker“, wie ihr Schöpfer sagt. Ob Restaurationsarbeiten im Kaiserdom Königslutter, die Krippenskulpturen auf dem Braunschweiger Weihnachtsmarkt oder der „Januskopf“ im Querumer Forst – Kleine-Tebbe ist in der Region längst kein Unbekannter mehr.
Aktuell fertigt er vier Trophäen und die Porträts der Preisträger des diesjährigen Unternehmerpreises der Region 38 an, der am 14. September verliehen wird. „Manchmal gerate ich durch das Renommee in Zugzwang, weil solche Auftragsarbeiten häufig relativ zügig erledigt werden müssen“, gibt er zu. „Man erwartet dann einfach, dass ich das schaffe.“ Das bedeute für die Familie, auch mal sonntags auf ihn zu verzichten. „Aber ich bin natürlich dankbar, dass ich in den letzten 30 Jahren stets sehenswerte Kunstwerke schaffen durfte.“
Wer den Künstler einmal kennenlernen möchte: Am Freitag, 7. Juli, erklären Magnus und Claudia Kleine-Tebbe in einer Kunstreihe der Jakob-Kemenate am Eiermarkt ein Werk von Artemisia Gentileschi. Beginn ist um 18 Uhr. Infos unter www.kemenaten-braunschweig.de.