Von Marion Korth, 13. Mai 2016.
Braunschweig. „Ich war erschrocken, als ich das gesehen habe“, sagt Frank Ehrhardt, Leiter der Gedenkstätte Schillstraße. Über Nacht – vom 10. auf den 11. Mai – sind alle Persönlichkeitstafeln des so genannten „Offenen Archivs“, die an die Opfer des ehemaligen KZ-Außenlagers Neuengamme erinnern, bis zur Unleserlichkeit mit goldener Farbe beschmiert worden.
Aufkleber und Buchstaben weisen auf einen rechtsextremen Hintergrund hin. Zuvor war bereits eine Gedenkveranstaltung zum Kriegsende von Neonazis gestört worden. Auch die Polizei schließt einen Zusammenhang nicht aus. Vertreter des Bündnisses gegen Rechts hatten am 8. Mai an der Schillstraße einen Kranz niedergelegt, um an den Tag der Befreiung und die Opfer des Faschismus zu erinnern. Auch der Blumenschmuck wurde zerstört.
Erhardt: „Das Andenken an die Menschen, die hier gelitten haben und zum Teil gestorben sind, wurde mit Füßen getreten.“ Er sieht in den Schmierereien auch einen Angriff auf die eigene Arbeit in der Gedenkstätte. Durch die Schmierereien wolle jemand diesen Teil der Geschichte vergessen machen.
Kulturdezernentin Dr. Anja Hesse kam persönlich zur Gedenkstätte, um sich ein Bild zu machen. Sie sei „schockiert“. Noch am selben Tag wurden die Tafeln entfernt. Sie werden jetzt gereinigt beziehungsweise erneuert. Für die Übergangszeit soll eine Tafel über die Tat informieren.
Es war nicht die erste Schmiererei an der Gedenkstätte, allerdings noch nie in diesem Ausmaß. Tröstlich waren die vielen Solidaritätsbekundungen aus allen Teilen der Gesellschaft an die Adresse der Gedenkstätte.
Mehr „Schmierereien“ in jüngster Zeit
Polizei bittet Zeugen sich zu melden – Wer hat verdächtige Beobachtungen gemacht?
Die Polizei hofft auf Hinweise aus der Bevölkerung, die verdächtige Beobachtungen gemacht haben oder Personen im Umfeld der Gedenkstätte Schillstraße direkt am Brawo-Park gesehen haben und bittet Zeugen, sich zu melden. Die mögliche Tatzeit erstreckt sich von 17 Uhr am 10. Mai bis 11 Uhr am 11. Mai, als die Schmierereien entdeckt worden waren. Für die Ermittlungen wäre es hilfreich, die Tatzeit eingrenzen zu können. „Wir verzeichnen in jüngster Zeit vermehrt Schmierereien“, sagt Polizeipressesprecher Wolfgang Klages. Dass gegen „rechte Schmierereien“ nicht vorgegangen werde, so lautet der Vorwurf des AStA der TU, weist er zurück. Klages: „Hier sind wir auf die Hilfe der Hausbesitzer angewiesen, die so etwas im eigenen Interesse sofort zur Anzeige bringen sollten.“
Als „Momentaufnahme“ lasse sich feststellen, dass es keinen festen rechtsextremen Kern in Braunschweig gebe. „Die linke Szene beschäftigt uns mehr“, sagt Klages.
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Reaktionen, die uns erreichten
Bündnis gegen Rechts
„8. Mai 1945 Tag der Befreiung vom Faschismus – Die Opfer der faschistischen Barbarei mahnen uns: Wehret den Anfängen! Knapp 25 Menschen kamen heute an der KZ-Gedenkstätte Schillstraße zusammen, um an den Tag der Befreiung zu erinnern und Kränze für die Opfer des Faschismus niederzulegen. Martina Staats vom „Arbeitskreis Andere Geschichte“ sprach anschließend über die „Zukunft der Gedenkstätte“ und zeigte vor Ort, wo bei den Arbeiten zur Errichtung des BRAWO-Parkes auf dem Gelände noch Überreste der Barracken des KZs gefunden wurden. Am Rande der Veranstaltung tauchten die Neonazis (…) auf, fotografierten die TeilnehmerInnen der Gedenkveranstaltung und provozierten mit Sprüchen, wie „Antisemiten lassen sich nicht verbieten“. Nachdem die Neonazis nach ihrem kurzen Auftritt wieder verschwunden waren, ging die Veranstaltung ohne weitere Störungen zu Ende. Auch wenn es nur bei einer kurzen Störung blieb, zeigt der Vorfall erneut, wie dreist die Neonazis inzwischen in Braunschweig auftreten.“
Pressemitteilung des AStA der TU Braunschweig:
„Kein Handeln gegen rechte Schmierereien?
In den letzten Tagen wurde die Gedenkstätte des KZ-Schillstraße mit nationalsozialistischer Symbolik verschandelt. Dies ist nach den Schmierereien am Gebäude des AStAs im Februar und der Bemalung von Stolpersteinen in den letzten Wochen eine neue Qualität von rechtem Aktionismus. Aus beiden genannten Vorfällen sowie dem erhöhten Anstieg von Schmierereien mit nationalsozialistischem Hintergrund, scheint die Polizei Braunschweig keinerlei Konsequenzen gezogen zu haben. Wir entnehmen gegenteilig dem Presseecho sogar, dass diese kein vermehrtes Aufkommen von solchen Vorfällen sieht. Uns irritiert und schockiert dieses Vorgehen sehr, da bei der Bekämpfung von Graffiti viel Aufwand betrieben wird, um die Ausbreitung dieser einzudämmen und zugleich Hakenkreuze und Parolen längere Zeit im Stadtbild präsent sein können, ohne dass es ein Handeln dagegen gibt. Ebenfalls gegenteilig entnehmen wir einer Mitteilung der Polizei Braunschweig, dass sie ZeugInnen sucht, welche die Anbringung linker Parolen in der Rudolfstraße beobachtet haben. In diesem Bericht steht zugleich nicht, dass dort Hakenkreuze übermalt wurden. Dies lässt uns fragen, warum nicht auch nach den UrheberInnen dieser Sachbeschädigungen gesucht wird.
Es ist für uns keine klare Linie gegen Rechts zu erkennen und wir würden uns ein elementares Umdenken dahingehend wünschen.“
Stellungnahme des Forums Demokratie vom 12. Mai 2016 der
lokalen Partnerschaft für Demokratie in Braunschweig des
Bundesprogramms Demokratie leben! – Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit
„Das Forum Demokratie nimmt in seiner Sitzung am 11. 3. 16 mit Entsetzen zur Kenntnis, dass die Gedenkstätte in der Schillstraße in Braunschweig, mit rechtsradikalen Schmierereien massiv verunstaltet wurde.
Die Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße ist ein wichtiger Ort des Erinnerns an die nationalsozialistische Vergangenheit unserer Stadt. Sie dokumentiert die rassistische, antisemitische, menschenverachtende Gewaltherrschaft in der NS Zeit in besonderer Weise.
Das gesamte Gremium verurteilt den Vorfall entschieden: „Der Protest gegen Rechtsextremismus – gegen rassistische, antisemitische und antidemokratische Einstellungen – ist eine unabweisbare Verpflichtung für alle Bürgerinnen und Bürger. Sie ergibt sich aus der Überzeugung, dass diese Ideologie das menschliche Miteinander zerstört, Hass und Angst verursacht und auch bei uns den Nährboden für Gewalt aufbereitet. Ein rechtsextremes, demokratiefeindliches Vorgehen hat in dieser Stadt ausdrücklich keinen Platz“, so die einstimmige Aussage des Gremiums.
In der Steuerungsgruppe der lokalen Partnerschaft des Bundesprogramms Demokratie leben! – Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit, setzen sich mehr als 50 Vertreter verschiedener relevanter zivilgesellschaftlicher Organisationen der ganzen Stadt gegen jegliche Formen von vorurteilsbasierter, politischer und weltanschaulich motivierter Gewalt und für eine demokratisches Klima in der Stadt ein. Angesichts stark wachsender rechtsextremistischer Umtriebe brauchen wir gerade jetzt das demokratische Engagement möglichst vieler Menschen
Die Mitglieder begrüßen ausdrücklich, das sofortige umsichtige Handeln der Stadt.
Um demokratiegefährdenden Entwicklungen in Braunschweig entgegenzuwirken, ist ziviles Engagement für Demokratie und Vielfalt in der gesamten Stadt notwendig und dafür setzt sich das Forum Demokratie ein. Nur ein demokratisches Braunschweig mit engagierten Demokraten/innen ist widerstandsfähig gegen Rechtsextremismus.
Die an der Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße angebrachte Mahnung: „Die Zukunft hat eine lange Vergangenheit“ ist eine klare Aufforderung an alle Bürgerinnen und Bürger, aus unserer Geschichte zu lernen und gleichsam eine Ermutigung, sich mit Nachdruck gegen menschenfeindliche und rechtsextreme Ideologien und Aktivitäten zu wenden.“
Gewerkschaft Verdi: Naziterror – Unbekannte beschädigen KZ-Gedenkstätte
Schillstraße in Braunschweig
„Nur wenige Tage nach der Gedenkveranstaltung zum Tag der Befreiung
vom Hitlerfaschismus am 8. Mai haben Unbekannte die KZ-Gedenkstätte
in der Schillstraße in Braunschweig großflächig mit Hakenkreuzen, NS-chmierereien etc. verwüstet und Teile der Gedenkstätte massiv beschädigt.
Schon während der Veranstaltung am 08.05. hatten stadtbekannte Nazischläger
zu provozieren versucht.
Der jetzige großflächige und schadensträchtige Angriff auf diese wichtige
Einrichtung überschreitet alles, was bisher an rechtsextremen Schmierereien
in Braunschweig vorgekommen ist.
Der Anschlag reiht sich ein in die Reihe der regelmäßigen Beschädigungen
der „Stolpersteine“ vor Häusern, die früher von Juden bewohnt wurden, in
das zunehmenden Aufkommen rechtsextremer Aufkleber und
Hakenkreuzkrakeleien im öffentlichen Raum.
Sebastian Wertmüller von der Gewerkschaft ver.di fordert die Öffentlichkeit
auf, sensibler auf derartige Signale zu reagieren: „Informieren Sie die Polizei
und die Stadt, damit diese verbotenen Symbole wieder schnell
aus der Öffentlichkeit verschwinden! Entfernen Sie derartige Aufkleber,
machen Sie Nazisymbole unkenntlich.“
An die Stadt richtet Wertmüller die Aufforderung, eine Sammelmailadresse
einzurichten, an die Bürgerinnen und Bürger das Aufkommen derartiger
Symbole melden können. Schließlich handele es sich nicht nur um Sachbeschädigungen, sondern um das öffentliche Präsentieren von Zeichen
verbotener Organisationen, deren Verbreitung und Zurschaustellung ebenfalls
verboten sei.
In Verbindung mit der Vielzahl rassistischer und nazistischer Vorkommnisse
in den letzten Monaten erwartet ver.di mehr Wachsamkeit und eine intensivere
Gegenöffentlichkeit. Wertmüller: „Wer die Demokratie schützen
und stärken will, muss diesen Nazis das Handwerk unmöglich machen. Da
sind alle gefragt: Die Zivilgesellschaft, die Verwaltung, die Polizei und natürlich
jeder Bürger und jede Bürgerin.“