Von André Pause, 14.01.2017
Braunschweig. Einige Jahre ist es her, da war Braunschweig so etwas wie eine Football-Stadt. Fünfstellige Besucherzahlen bei den Spielen der kräftigen Kerls der New Yorker Lions im Stadion an der Hamburger Straße – in den 90er Jahren an der Tagesordnung. Die ganz große Euphorie in der Stadt hat sich mittlerweile gelegt, obwohl die Mannschaft mit elf Meistertiteln Rekordhalter der German Football League ist. Der lupenreine Titel-Hattrick von 2014 bis 2016 jedenfalls stand schon sehr im Schatten der Erfolge des Profifußballteams von Eintracht Braunschweig.
Und die Football-Damen? Sie sind mit Herzblut bei der Sache, haben es – obwohl immerhin in der Zweiten Bundesliga am Start – in puncto öffentlicher Aufmerksamkeit freilich noch mal eine ganze Ecke schwerer als die männlichen Kollegen. „Wir sind im Grunde die Splittergruppe einer Randgruppe“, bringt Roy-Oliver Bottke, seit 2010 Trainer der Lady Lions, den Status Quo leicht schmunzelnd auf den Punkt.
Damen-Football – noch eine Splittergruppe
Einen Gutteil dieser unterm Strich doch mehr als 30 Frauen umfassenden Splittergruppe aus Braunschweig durfte ich jetzt für unsere Serie „inSport-Mitarbeiter versuchen sich in ungewöhnlichen Sportarten“ kennenlernen. Die Damen aus dem Redaktionsteam hielten sich im Vorfeld irgendwie auffällig zurück, und so war ich es schließlich, der sich an diesem ungemütlichen Donnerstagabend im Dezember auf den Weg zur Sporthalle in Rüningen gemacht hat. Hier bolzen die Lady Lions zur Vorbereitung auf die kommende Saison den gesamten Winter über einmal pro Woche Kondition, immer ab 20 Uhr, zwei ganze Stunden lang. Vielleicht ist es angesichts dieses Programms etwas arglos, im Zustand völliger körperlicher Unvorbereitetheit vorbeizuschauen, dachte ich noch. Da war es auch schon zu spät. „Mittendrin statt nur dabei“ – oder wie hieß der Slogan eines unlängst umgetauften TV-Senders doch gleich.
Das Konditionstraining im Winter
Dabei ist der Auftakt noch relativ harmlos: Runde um Runde geht es im lockeren Laufschritt durch die Halle, wobei gleich mehrere Spielgeräte mehr oder weniger blind über die Schulter zur jeweiligen Hinterfrau geworfen werden. An letzter Position in der Schlange angelangt, gilt es im Slalom um die Mitspielerinnen nach vorne an die Spitze der Gruppe vorzudringen. Easy. Noch.
Erstmals fies wird es dann bei den Kurzsprints und Koordinationsläufen in Formation. Hier offenbaren sich des Schreibers Schwächen ebenso deutlich wie beim anschließenden „Stille Post“ mit Medizinball. Im Stehen, auf dem Bauch in Wippposition, in der Waagerechten auf Ellenbogen gestützt oder im Liegestütz wird das kiloschwere Lederding (ich hatte die irgendwie kleiner in Erinnerung) durch die Reihen gereicht respektive gewuchtet, immer kritisch beäugt vom Trainerteam. Die Damen links und rechts neben mir scheinen den Kraftakt besser weg zustecken. Meine Pumpe läuft auf Hochtouren, der Schweiß fließt in Strömen und unter dem Körper bilden sich kleine Pfützchen. „André, Du schummelst ja schon wieder“, monieren O-Line-Coach Manuela „Mini„ Göhring und Defense-Koordinatorin Doreen Holtfreter im Wechsel gleich mehrfach meine doch eigentlich nur für Argusaugen ersichtliche Taktik, die nach vorn gestreckten Arme mittels abgespreizten kleinen Fingern vom Hallenboden, der mittlerweile aussieht wie die Mecklenburger Seenplatte, fernzuhalten. Selten zuvor war eine Viertelstunde so lang, doch Gott sei Dank hat auch diese Übungsreihe ein Ende.
Danach ziehen die Frauen ihre Pads über und setzen sich die Helme auf. „Das ist eine Ausnahme. Normalerweise sehen die Spielerinnen die Sachen bis Mitte Ende Februar oder sogar März überhaupt nicht“, erzählt Trainer Bottke, während die Damen sich geradezu rührend um meine Ausrüstung kümmern. Ein Panzer in Größe L passt. Das vorgesehene Shirt hat dagegen eher die Ausmaße eines Tops. Fröhliches Gewusel um mich herum: „Das geht gar nicht, guck mal, viel zu kurz.“ „Äh ja, wir nehmen lieber das. Haben wir eigentlich auch einen Helm für Karla Kolumna?“ „Komm, wir ziehen Dir jetzt mal ein anderes Shirt an, mach mal die Arme nach vorne.“ „Der Helm passt auch.“ Fertig. Die Damen mustern mich, nicken, schauen zufrieden.
Dass das Spiel komplex ist, davon hatte ich ungefähr eine Ahnung, dass das Einkleiden ein Akt für sich ist, war mir weniger bewusst. Die Spielerinnen kämmen gut damit klar, sagen sie, allerdings müsse der Toilettengang gut überlegt sein, denn mit voller Montur sei der quasi nicht zu bewerkstelligen. Nun ja.
„100 oder 70 Prozent?“
Der zweite Teil des Abends ist Übungen gewidmet, die Spielsituationen simulieren oder auf die physische Bewältigung derselben abzielen. Dabei trete ich nach ein paar Medizinball-Pushs zunächst mit zwei kräftigen Offensive-Linerinnen in Kontakt. Sie klären mit den Trainerinnen nebenbei, ob sie, wenn es gegen mich geht, „100 oder doch lieber 70 Prozent“ in die Waagschale legen sollen. Ich muss ein erstes Mal tief schlucken – die Damen sehen wirklich nicht zimperlich aus – und gebe zu bedenken, dass es 40 Prozent vielleicht auch tun würden. Letztlich überstehe ich die Clinch-Situation und darf danach fast jede Übung bis zum Pass-Lauf- und Fangspiel einmal absolvieren.
Selbst dem blutigsten Footballlaien, also mir, wird deutlich: Ohne Teamgedanken ist hier alles Nichts. Roy-Oliver Bottke bestätigt das: „Football ist wirklich wie ein Uhrwerk, vor allem in der Offense. Es gibt große und kleine Rädchen, schnelle und langsame Spielerinnen, es gibt grazile die hektisch springen oder welche die stetig laufen. Alle halten dieses Uhrwerk in Gang. Macht eine Spielerin nicht das, was sie machen soll, fällt ein Rädchen aus, bleibt alles stehen oder bricht zusammen. Da ist sofort alles vorbei. Football ist der Mannschaftssport schlechthin. Es gibt kaum eine andere Sportart, in der Teamplayer so dringend gebraucht werden, wie hier. Allein bist du auf dem Feld gar nichts wert.“ Bottke erklärt mir die Funktion der Offense-Line als Schutztruppe des Quarterbacks, erläutert die Aufgaben der Running Backs, Wide Receiver und die der kompletten Defense – von der Defense-Line über die Line-Backer (zweite Verteidigungsreihe), die Corner bis zum Safety. Gar nicht so einfach, das alles.
Ich bin heillos überfordert, auch mit der anschließenden Spielsituation, und gräme mich ein wenig. Doch das sei normal, versichert der Trainer. Zwei Jahre könne es schon dauern, bis man das Spiel komplett verinnerlicht hat. Manch einer packe es vielleicht schneller, ein anderer begreife es womöglich nie.
„Sicherlich hat das Spiel viel mit Kraft zu tun und es sieht immer gewaltig aus, wenn die Spieler so zusammenknallen und die Helme krachen, aber du musst das natürlich auch alles in der Birne haben (ein Playbook umfasst 60 bis 80 Spielzüge). Football ist Schach auf dem Rasen. In der Regel ist es so: Du lernst ein paar Techniken spielst eine Position, fühlst dich da irgendwann sicher, aber sobald du eine andere übernehmen sollst, wird es schwierig“, so Bottke. Man begreife eben nur Schritt für Schritt. „Es ist in etwa so wie bei einem Computerspiel, wo man sich Stück für Stück immer eine weiteres Level freischaltet.“ Ich bin beruhigt – aber auch stehend k.o.