Von Christoph Matthies, 05.05.2018.
Braunschweig. Wenn der Berg die Braunschweiger ruft, geht es meistens in den Harz.
Nicht mal eine Autostunde entfernt liegt das höchste Gebirge Norddeutschlands, das je nach Jahreszeit mit klirrend frischer Winterluft oder saftigem Fichtenduft lockt. Sein höchster Gipfel, der Brocken, ist beliebtes Ausflugsziel, Wahrzeichen und liegt klimatisch den Alpen näher als dem Elm. Doch der Harz ist viel mehr als nur der alte „Blocksberg“: Ein Wanderwegenetz von mehr als 8000 Kilometern, zumeist gut ausgeschildert, lassen jedem Outdoor-Enthusiasten die Qual der Wahl.
Der Stempel motiviert
Zum Glück gibt es Entscheidungshilfen: Wanderführer findet man in jeder Buchhandlung und bieten wertvolle Informationen und Inspirationen. Auch im Netz gibt es zu diesem Thema ein breites Angebot an Vorschlägen, die man per App auch direkt ins Gelände mitnehmen kann. Ein ganz besonderes Tool für die Tourenplanung ist die Harzer Wandernadel. Ob historisches Erzbergwerk oder gewaltiger Stausee, ob mittelalterliche Burg, gemütliches Gasthaus oder aussichtsreicher Gipfel: Die insgesamt 222 Stempelstellen, die seit 2006 zum Pilgern einladen, decken die ganze Vielfalt des Mittelgebirges ab. Und spornen dazu an, Wege und Orte zu erkunden, die man sonst vielleicht nie entdeckt hätte. Hätte ich jemals auf dem Hexentanzplatz in Walkenried – richtig gelesen, nicht dem berühmte in Thale! – gestanden und über die einstige Grenze bis nach Ellrich geblickt, wenn dort nicht ein Stempelkasten auf mich gewartet hätte? Wäre ich je auf den Elfenstein oberhalb von Bad Harzburg geklettert, wenn dieser nicht als Stempelstelle ausgewiesen wäre? Wohl eher nicht. Das Stempelsammeln motiviert große und – das ist vielleicht einer der größten Vorteile – auch kleine Wanderer, immer wieder neue Ecken unseres liebsten Mittelgebirges in Augenschein zu nehmen. Kein Wunder, dass seit seiner Einführung vor zwölf Jahren schon fast 5000 Freiluft-Fans zum „Harzer Wanderkaiser“ gekrönt wurden, sprich: alle 222 Stempel in ihrem Wanderpass nachweisen konnten.
Allzu kritische Geister könnten sich nun zu Wort melden und behaupten, es sei doch wieder „typisch deutsch“, sogar beim Umherstreifen durch die Natur seine Leistungen ganz bürokratisch zu dokumentieren. Doch das wäre seinerseits ignorant, würde es doch außer Acht lassen, wie viel Spaß die Jagd nach den Stempeln bringt. Und wie sehr sie dazu verleitet, auch die abgeschiedensten Ecken jenseits von Brockenwirt und Wurmberg-Alm zu erkunden.
Analoge Routenplanung
So kommt es schon mal vor, dass ich mich mit einer Landkarte – auf den guten sind die Stempelstellen eingetragen! – zurückziehe und bei der Planung neuer, spannender und mitunter stempelreicher Routen die Zeit vergesse. Da wird schon die Planung des Wandervergnügens, egal ob Sonntagsausflug oder Mehrtagestrip, selbst zu einer Form der inneren Einkehr.
Die erste bewusste Begegnung mit Stempelwanderern hatten meine Begleiterin und ich übrigens am Ottofelsen bei Wernigerode. Das mittelalte Paar stempelte gerade ab, als wir die Aussichtsplattform verließen. Ein kurzer Schwatz, was das ganze denn solle, und eine Warnung sind im Gedächtnis geblieben: „Vorsicht mit dem Stempeln, das macht süchtig.“ Dasselbe ließe sich auch über den Harz sagen. Letztlich kommt es gar nicht darauf an, ob man sich Tintenflecke in seinen Pass drückt oder nicht. So banal es klingt, so wahr ist es: Der Weg ist beim Wandern das Ziel. Die gute Luft, die Bewegung in der Natur, die spektakulären Aus- und Anblicke und die Pausen, die man einlegt.
Wenn man sich dann nach einigen Jahren „Harzer Wanderkaiser“ nennen darf, weiß man aber immerhin, dass man sich allmählich nach dem nächsten Mittelgebirge umsehen darf – und davon gibt es zum Glück eine ganze Menge.