28. April 2023
Buntes

Der Boom ist ungebremst

Immer mehr satteln um aufs Fahrrad – und die dürfen auch teuer sein

Das Rad ist für viele mittlerweile ein attraktives Verkehrsmittel – nicht nur in der schönen Jahreszeit. Foto: Stadtmarketing Braunschweig/Sascha Gramann

Der Rahmen ist auf Hochglanz poliert, die Kette geölt: Mit den steigenden Temperaturen füllen sich auch wieder die Radwege in und um Braunschweig. Schon immer war Frühjahr und Sommer die klassische Fahrradzeit, doch Corona und Ukrainekrise haben noch einmal einiges ins Rollen gebracht. Im wahrsten Sinne des Wortes.

„Inzwischen steigen auch viele in den Wintermonaten in den Sattel“, beobachtet Karl Gerdes, Geschäftsführer von Velocity im Atrium Bummelcenter. Der Handel kann sich die Hände reiben. Im ersten Lockdown 2020 stieg der Umsatz um mehr als zehn Prozent. Dann kam ein Dämpfer. Die Zuliefererwerke in China und Japan schlossen, die Lieferketten rissen, viele Nachfragen konnten nicht bedient werden. Das hat sich seit Herbst vergangenen Jahres wieder grundsätzlich geändert. „Die Lager sind voll“, sagt Gerdes. Zu den endlich gelieferten 2022-Modellen kommen jetzt noch die aktuellen Räder für die Saison 2023.

Was darf es sein: Lastenrad, Faltrad oder ein trendige SUV-Bike? Bei Fahrrädern bleibt inzwischen kein Kundenwunsch mehr offen. Und die, so Karl Gerdes von Velocity, würden mittlerweile immer mehr zu E-Bikes schwenken. Foto: Birgit Wiefel

Mit dem klapprigen Drei-Gang-Holland-Rad in die Stadt und am Wochenende womöglich noch rund um den Südsee? Das war gestern. Der Markt rund ums Rad ist schier explodiert, bietet für jeden Anlass und jedes Temperament das passende Modell – von leicht bis schwer, von kompakt bis groß. Es ist auch ein Zeichen dafür, wie sehr das Fahrrad als Mobilitätsmittel in den Fokus gerückt ist. Und wenn es das Auto ersetzen soll, muss es eben auch viele unterschiedliche Aufgaben erfüllen, muss Freizeitvehikel, Packesel und Pendlerhilfe sein. Die Hersteller haben darauf reagiert. „Viele jüngere Menschen haben überhaupt keinen Führerschein mehr“, weiß Karl Gerdes von Velocity. Versicherung und Sprit sind ihnen zu teuer, die Parkplatzsuche nervt, auf der anderen Seite ist die Fahrradinfrastruktur in den Städten in den vergangenen Jahren immer besser geworden. „Selbst aus den umliegenden Ortschaften ist man in kurzer Zeit in der Braunschweiger City, versuchen Sie das mal zur Rush-Hour mit dem Auto“, lacht Gerdes. Für zusätzlichen Schub sorgt noch einmal die Charme-Offensive mancher Firmen, die für Arbeitnehmer attraktiv bleiben oder werden wollen: Das Angebot, Fahrräder günstig über sie zu leasen. „Fast jedes vierte E-Bike ist inzwischen geleast“, ordnet Gerdes ein. Ein schöner Bonus für Mitarbeitende also, der aber auch dem Unternehmen Vorteile bringt, denn Angestellte, die sich regelmäßig an der frischen Luft bewegen, sind weniger krank und im besten Fall ausgeglichener.

Klarer Trend zum E-Bike

Wer sich für ein Zweirad entscheidet, wählt inzwischen meist ein E-Bike. Vorbei die Zeiten, als die Velos mit Hilfsmotor als „Seniorenräder“ belächelt wurden. Ganz im Gegenteil: Die Kundschaft wird immer jünger. „Vor zehn Jahren verkauften ich und meine Kollegen höchstens drei bis vier Stück pro Jahr“, sagt Gerdes. Heute ist jedes zweite verkaufte Fahrrad ein E-Bike, teilten der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV)und der Verband des Deutschen Fahrradhandels (VDZ) kürzlich mit.
Wie kommt es zu dem Run? „Das Thema hat eine echte Eigendynamik entwickelt“, staunt auch Gerdes. Ein Grund ist für ihn der Trend zu Radreisen. „Die Reise- und Tourismusverbände werben verstärkt mit E-Bike-Tourvorschlägen. Wenn dann Freunde oder Nachbarn davon schwärmen, was sie alles auf zwei Rädern gesehen haben, will man natürlich mithalten“, sagt Gerdes lachend. Zudem sind die Hilfsmotoren auch praktisch: Sie machen schwere Lasträder leichtgängig und Falträder für den Weg vom Bahnhof zur Arbeit schnell und wendig.

Dass für E-Bikes Preise ab 3000 Euro aufgerufen werden, scheint nicht zu stören. Auch nicht, dass Velos infolge der Inflation generell um bis zu 10 Prozent teurer geworden sind. Wer sich bewusst für ein Fahrrad als Transportmittel entscheidet, ist offensichtlich durchaus bereit, einen vierstelligen Betrag auf den Tisch zu legen. Und es ist noch jede Menge Luft nach oben: Der letzte Schrei sind SUV-E-Bikes, die ähnlich protzig und breitbeinig daher kommen wie ihre vierräderigen Kollegen. SUV-E-Bikes können bis zu 29 Kilo wiegen, besitzen gleich zwei Akkus und sind mit Preisen von knapp 6000 Euro nicht eben ein günstiges Freizeitvergnügen – dafür werde allerdings die Steigungen im Harz zur reinen Spielerei. „Bei den Akkus hat es Quantensprünge gegeben“, sagt Gerdes. Selbst bei günstigen E-Bikes hält eine Akkuladung inzwischen einen ganzen Tag – abhängig von der Fahrweise. „Mit einem 750er Akku können Sie sogar eine Woche lang von Lamme nach Braunschweig zur Arbeit pendeln, ohne einmal laden zu müssen“, sagt Gerdes über die Bikes von heute.

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