8. Februar 2020
Soziales

Der größte Fehler wäre es, einfach gar nichts zu tun

Ausprobiert und ausgebildet: NB-Redakteurin Stefanie Druschke frischte ihr Erste-Hilfe-Wissen auf und erlernte lebensrettende Maßnahmen

Anne atmet nicht: NB-Redakteurin Stefanie Druschke lernt bei den Maltesern, was in diesem Fall zu tun ist. Foto: oh

Volkmarode. Anne gibt kein Lebenszeichen von sich. Jetzt ruhig bleiben und volle Konzentration: den Druckpunkt suchen, die richtige Haltung einnehmen und mit durchgestreckten Armen und fünf bis sechs Zentimeter Drucktiefe in gleichmäßigen Tempo 30 mal hintereinander auf den Brustkorb drücken. Dann zwei Atemstöße geben, dabei Annes Kopf überstrecken und ihre Nase verschließen. Es klappt tadellos. Zum Glück weiß ich jetzt (wieder), was in einer lebensbedrohlichen Situation zu tun ist.

Das letzte Mal, dass ich mich mit Erste Hilfe befasst habe, war in der Schule. Der dort absolvierte Pflichtkurs war haarscharf noch gültig, als ich meinen Führerschein machte und das Ganze ist über drei Jahrzehnte her. Ob dieser Erkenntnis plagte mich schon öfter das schlechte Gewissen: Könnte ich in einem Notfall helfen und die richtigen Maßnahmen ergreifen? Grund genug also, mein Wissen aufzufrischen.Da kommt das Angebot der Malteser an die NB-Redaktion an einem Erste-Hilfe-Lehrgang teilzunehmen, genau richtig. Eine gute Gelegenheit mein Wissen zu testen und auf den neusten Stand zu bringen.

Wir sind elf Frauen und zwei Männer, die sich an einem frühen Montagmorgen im Schulungsraum der Malteser einfinden. Neun Unterrichtsstunden liegen vor uns. Viele aus der Gruppe sind bereits Ersthelfer an ihrem Arbeitsplatz und erneuern ihr Wissen im vorgeschriebenen zweijährigen Turnus. Andere kommen wie ich mit jahrzehntealtem rudimentärem Restwissen und vermuteten großen Defiziten.

Und tatsächlich wird in den nächsten Stunden einiges, was ich noch zu wissen meinte, gerade gerückt. Die mir bekannte „stabile Seitenlage“ ist einer viel einfacheren Variante gewichen, und Verbrennungen kühle ich ab sofort auch lieber mit lauwarmem Wasser.

Heiterkeit setzt in der Gruppe ein, als unser Ausbilder Christian Schmidt die Wiederbelebung mit Herzdruckmassage und Beatmung erklärt und den richtigen Druckpunkt dafür mit „zwischen den Brustwarzen“ angibt. Eine Gruppe junger Frauen spekuliert kichernd darüber, dass dieser Punkt ja nicht bei jeder Frau an der gleichen Stelle liege. Der erst 19-jährige Schmidt lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: „Keine Sorge, das funktioniert“, versichert er souverän und lässt es jeden Teilnehmer gleich mehrfach trainieren.

Ich habe mal gelernt, man solle das Ganze im Takt des Bee Gees-Songs „Stayin’ alive“ machen. „Atemlos“ oder „Biene Maja“ sollen auch gut funktionieren, ergänzt Schmidt. Auf jedem Fall ist es ganz schön anstrengend und ich komme ins Schwitzen – auch bei dem Gedanken das womöglich einmal längere Zeit machen zu müssen. „Wenn ihr dabei mit dem Brustbein die Wirbelsäule berührt, dürft ihr gern ein bisschen weniger Druck ausüben“, scherzt Schmidt, um uns dann zu beruhigen: „Lieber eine gebrochene Rippe, als tot.“ Ohnehin sei das einzige, was man bei der Ersten Hilfe komplett falschen machen könne, einfach nichts zu machen.

Und so schult er uns fleißig weiter, zeigt uns, wie wir bei einem Herzstillstand den „Defi“ (Defibrillator) einsetzen. In Zweier-Teams probieren wir das Gerät aus, lassen uns von der Sprechstimme, die beim Einschalten die Führung übernimmt, durch die Anwendung leiten. Das klappt bei allen prima, bis ein Team vor Lachen fast zusammenbricht und große Mühe hat, sich auf die Rettung von Dummy-Puppe „Anne“ zu konzentrieren: Christian hat heimlich die Sprachsteuerung des Defis auf Niederländisch umgestellt.

Immer wieder wird die Theorie mit praktischen Übungen gefestigt. Die Erklärungen sind klar formuliert, die Beispiele anschaulich. Gruppenarbeiten lockern das gemeinsame Lernen auf. Mit Julia, Joana und Sarah bilde ich die „Schlaganfall-Gruppe“. Wir befassen uns mit den Symptomen und Hilfsmaßnahmen, um sie später den anderen erläutern zu können.

Seit Oktober letzten Jahres bildet Christian Schmidt, der bei den Maltesern ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert, in Erster Hilfe aus. „Unser Jüngster“, sagt Ausbildungsleiterin Marion van der Pütten nicht ohne Stolz. In 550 Kursen pro Jahr werden aus rund 6000 Teilnehmer bei den Maltesern in Braunschweig Ersthelfer und Lebensretter.

„Wir bemühen uns, Erste Hilfe so einfach wie möglich zu vermitteln, Hemmschwellen abzubauen“, erzählt sie. Zum Beispiel auch mit der Juniortrainer-Ausbildung. 40 Absolventen aus zwei Jahrgängen haben ihr Erste-Hilfe-Wissen in Schulklassen, Sportvereinen, Konfigruppen und sogar bei Familienfeiern bereits an über 1000 Personen weitergegeben. So multipliziert sich die Zahl derer, die im Ernstfall wissen, was zu tun ist.

Christian Schmidt hat als Ausbilder bereits 18 Kurse gegeben. „Ich bin sehr daran gewachsen, das war für meine persönliche Entwicklung wirklich gut“, so die Einschätzung des jungen Mannes, der mit dem Gedanken spielt, sich zum Notfall-Sanitäter ausbilden zu lassen.

Ich für meinen Teil bin am Ende eines langen und intensiven Tages doppelt qualifiziert. Ich bin Ersthelferin und könnte (theoretisch) Leben retten. Ein wirklich gutes Gefühl.

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