Von Birgit Leute, 22.08.2015.
Braunschweig. Wer einen Termin bei Rainer Ottinger haben möchte, braucht einen langen Atem: Der Architekt ist stark gefragt. Fast bei jedem neuen Bauprojekt der Stadt ist er mit im Boot. Umso wichtiger sind die Momente für ihn, in denen er entspannen kann. Und das gelingt ihm am besten im Bürgerpark – seinem absoluten Lieblingsort.
Ottinger ist hier im Süden der Stadt zu Hause. Seit er 1981 als Student von Essen nach Braunschweig zog, wohnt er im Viertel. Seine WGs lagen in der Böckler-, Georg-Wolters- und Gertrudenstraße. Heute lebt er mit seiner Frau und der jüngsten Tochter Charlotte direkt am Park: Von der Haustür bis ins Grüne braucht er nur ein paar Schritte. Wer früh genug aufsteht, erwischt den sonst stets korrekt gekleideten Architekten dann auch schon mal in kurzer Hose und Eintracht-T-Shirt. „Ich jogge jeden Morgen mit meinen beiden Hunden“, erzählt Ottinger.
Der Park – das ist für ihn ein perfektes Beispiel für die vielen grünen Lungen der Stadt, die Braunschweig so lebenswert machen. „Die Teiche, der Fluss, die Offenheit der Landschaft Richtung Süden – das ist einfach herrlich angelegt“, bricht der Ästhet aus ihm heraus. Auch die vielen kulturellen Veranstaltungen wie „Klassik im Park“, „Kultur im Zelt“ und das ATP-Turnier seien eine kulturelle Bereicherung.
Auf seinen Reisen schaut Ottinger oft über den Tellerrand, vergleicht seine Heimat mit großen Städten, doch wenn er zurückkehrt, weiß er: „Mich zieht hier nichts weg.“
Freie Sicht auf die Bruchstraße
Für den Architekten gehört das Rotlichtviertel zur Stadt und sollte geöffnet werden
Wer ein Vollblut-Architekt ist wie Rainer Ottinger dem fällt es schwer, seine „Brille“ beim Gang durch die Stadt einfach abzusetzen. „Ich hätte viele Ideen, wie man manche Ecke schöner machen könnte“, gibt er zu.
Eine dieser Ecken ist das Friedrich-Wilhelm-Viertel – und dort ganz besonders die Bruchstraße. Zwei Eisentore schirmen das Rotlichtviertel vom Rest des Quartiers ab – für Ottinger ein Sakrileg. „Wissen Sie eigentlich, was für eine schöne Sichtachse die Straße bildet? Welche neuen Perspektiven entstünden, wenn man die Tore öffnen, die Straße ans Viertel anbinden würde?“, ist er überzeugt.
Na gut. Also weg mit dem Rotlichtviertel? „Nein“, Ottinger schüttelt entschieden den Kopf. Braunschweig sei schließlich Großstadt, eine „Bruchstraße“ gehöre einfach dazu. „Aber das Friedrich-Wilhelm-Viertel mit seiner Flanier- und Partymeile braucht mehr Durchmischung. In Amsterdam gelingt das auch. Dort sind diese Quartiere inklusive Rotlicht Kult. Warum sollte das Friedrich-Wilhelm-Viertel das nicht auch schaffen?“
Hamburger Straße: „Für mich immer wieder ein Ort großer Emotionen“
Im Norden hat Rainer Ottinger seine zweiten Wurzeln und schwankt zwischen Kritik und Liebe
Der Besuch im Norden fällt an diesem Tag stürmisch aus. Rainer Ottinger liebt Ausblicke von oben, auch wenn der Wind pfeift, deshalb geht es hoch auf das Haus der Wissenschaft. „Nach dem Studium hab ich an der TU als Assistent und Lehrbeauftragter gearbeitet und auch dort ganz oben gesessen“, zeigt Ottinger hinüber auf das Gebäude an der Mühlenpfordtstraße.
Wen wundert‘s: Auch das Haus der Wissenschaft hat Ottinger mitgestaltet. Von ihm stammt der Entwurf für die oberste Etage, in der sich heute ein italienisches Restaurant befindet, und für die Glaskuppel. Wirt Pino schlägt ihm freundschaftlich auf die Schulter. Man kennt sich. „Die Aussicht von hier oben ist einfach grandios“, ist Ottinger von dem Rundumblick begeistert.
Hier im Norden hat der Architekt seine zweiten Wurzeln. Anfang der 80er-Jahre fuhr er über die Hamburger Straße zum ersten Mal in die Stadt ein. Und war wenig begeistert. „Die Straße war damals total marode“, erinnert er sich. Auch heute noch hätte er den einen oder anderen Verbesserungsvorschlag für die Gegend, die als Einfallstor in die Stadt in seinen Augen eine besondere Rolle spielt. „Städteplanerisch ist die Straße schwer in den Griff zu bekommen“, gibt er zu. Zwar seien einige Baulücken durch Gewerbeansiedlungen schon geschlossen worden. „Aber sie wirkt irgendwie immer noch kariös und wird sicher nie eine Straße mit Aufenthaltscharakter.“ „Richtig emotional“ wird‘s für Ottinger aber an der Hamburger Straße 210. Dem Eintracht-Stadion. Seit 2007 ist Ottinger Vizepräsident des Vereins, seit 2008 sitzt er auch im Aufsichtsrat. Natürlich ist er bei jedem Heimspiel dabei und fiebert mit. „Fragen Sie mich jetzt nicht, was ich mir von der Spielzeit erwarte“, wehrt er lachend ab und kommt lieber wieder auf die Architektur zu sprechen, für die er sich immer wieder begeistert, und die Hobby und Arbeit zugleich für ihn ist. „Das Stadion hat durch den Ausbau der Infrastruktur mit Haupttribüne, Geschäftsstelle, Gastronomie, Fanhaus und Hockeyheim deutlich gewonnen“, freut er sich. Fußball spielt übrigens auch zu Hause eine Rolle. Ein Jahr lang wohnte ein Spieler aus dem Nachwuchsleistungszentrum bei Ottingers. „Ganz ehrlich: Fußball und Eintracht sind für mich und meine Familie ein wichtiger und emotionaler Bestandteil des Lebens.“
Ein anderes Porträt
Neue Serie – Menschen und ihr Braunschweig
Frauen, Männer, Kinder – Menschen aus Braunschweig, die wir eigentlich kennen, möchten wir von einer anderen Seite vorstellen.
Deshalb bitten wir sie, mit uns einen Stadtrundgang zu machen. Zu Lieblingsplätzen, Orten, die mit besonderen Geschichten verbunden sind, oder auch in die Ecken, die total unbeliebt sind.
Unseren zweiten Spaziergang unternehmen wir mit dem Architekten Rainer Ottinger, der viele Gebäude der Stadt mitgestaltet hat. Seine Lieblingsorte liegen im Süden und im Norden, und so haben wir ihn unter anderem in den Bürgerpark, ins Friedrich-Wilhelm-Viertel und zum Haus der Wissenschaft begleitet.