Von Birgit Leute, 02.01.2015.
Braunschweig. Haus der Kulturen – das klingt in Zeiten von „Pegida“ ein bisschen nach heile Welt. Seit eineinhalb Jahren gibt es das Begegnungszentrum im alten Nordbahnhof. „Wir machen hier keine Folklore, sondern kulturelle Vernetzung“, betont Adama Logosu-Teko. Vor allem aber machen sich die Initiatoren Sorgen. Über einen neu erwachten Patriotismus, der Tausende auf die Straßen treibt. Ein Interview mit den vier Geschäftsführern.
?2013 wurde das „Haus der Kulturen“ in Braunschweig gegründet. Mit ihm verbanden die internationalen Vereine die Hoffnung, besser wahrgenommen zu werden. Wurden die Erwartungen erfüllt?
!Cristina Antonelli: Auf jeden Fall. Zuvor gab es für sie Räume in der Petzvalstraße, also am Stadtrand und absolut weit vom Schuss. Außerdem war das Haus wenig einladend. Immer mehr Vereine zogen deshalb aus. Jetzt, im Nordbahnhof, haben wir uns ganz neu aufgestellt. Es werden gezielt kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen und Theaterstücke, aber auch Vortragsabende und Schülerprojekte angeboten.
?Welche Nationalitäten sind aktuell im Nordbahnhof vertreten?
! IshakDemirbag: Unter anderem Zuwanderer aus Kamerun, Italien, Polen und Indonesien. Es gibt daneben noch Assoziationen mit der Vereinigung der Tunesier, der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft und dem Deutsch-Arabischen Kulturzentrum.
?Aber kommen denn zu den Veranstaltungen nicht doch am Ende nur die „üblichen Verdächtigen“ – die, die sich immer schon für ausländische Kulturen begeistern und auch anderswo aktiv sind?
!Petra Ulbrich: Durchaus nicht. Wir haben die Kontakte zum Staatstheater intensiviert. Zu den Museen. Zum International Office der TU. Außerdem stellen wir unser Wissen Firmen zur Verfügung, die im Ausland tätig sind und mehr über die Gepflogenheiten des Landes wissen wollen. Wir engagieren uns politisch im Niedersächsischen Integrationsrat und haben kürzlich den Gesellschaftspreis des Deutsch-Türkischen Netzwerkes erhalten.
!Antonelli: Natürlich sind wir noch im Aufbau begriffen, aber das Haus der Kulturen wird tatsächlich überregional schon als Leuchtturm wahrgenommen. Als Ort, an den man sich bei Themen und Fragen rund um Integration wenden kann.
?Gerade dieses Thema wird ja derzeit sehr kontrovers diskutiert. Die hohe Anzahl von Flüchtlingen erzeugt Ängste. Wie bringen Sie sich in diese Diskussion ein?
!Ulbrich: Indem wir für die Situation von Flüchtlingen sensibilisieren. Die politische und soziale Lage in anderen Ländern bewusst machen. So gab es eine Lesung mit dem Titel „Krieg – stell dir vor, er wäre hier“. Ein Vortrag befasste sich mit der rechtsextremen Szene und deckte ihre Symbole und Argumentationen auf. Und ein Workshop befasste sich mit typischen Stammtischparolen wie „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“.
!Ishak Demirbag: Wir bauen auch ehrenamtliche Hilfe auf, Landsleute der Asylanten engagieren sich über ihre Netzwerke.
?Betrachten Sie Strömungen wie „Pegida“, die bis zu
17 500 Menschen auf die Straße treibt, mit Sorge?
! Antonelli: Definitiv, aber es ist kein typisch deutsches Phänomen. In Rom gingen ebenfalls Hunderte Menschen auf die Straße, um noch einmal auf Lampedusa und die vielen Flüchtlinge, die dort jeden Tag stranden, aufmerksam zu machen.
!Ulbrich: Die Lage ist tatsächlich komplex. Es gibt keine einfachen Antworten. Im Grunde sind die Demonstrationen auch ein Hilfeschrei. Durch die wirtschaftlichen Krisen der vergangenen Jahre sind die Ängste groß, und die Politik hat keine passenden Antworten. In den vergangenen 20 Jahren war das Thema Flüchtlinge einfach nicht aktuell. Nun fehlen die passenden Strukturen in Verwaltung, Politik und bei den Wohlfahrtsverbänden.
? Im Fokus der Demonstranten stehen vor allem Muslime. Sollten hier die muslimischen Gemeinden nicht aktiver werden, deutlicher in die Öffentlichkeit treten, sich stärker vom Islamismus des IS absetzen?
!Adama Logosu-Teko: Das wäre sicher sinnvoll. In den USA werden zum Beispiel Spots im Fernsehen ausgestrahlt, in denen führende Muslime Stellung beziehen und sich mit den Worten „Not in my name… – Nicht in meinem Namen…“ von den Islamisten abgrenzen. Aber auch die christlichen Kirchen sind gefragt, denn die Auseinandersetzung findet ja auf einer kulturell-religiösen Ebene statt.
!Antonelli: Was mir Sorgen macht, sind die Kinder und Jugendlichen. Welches Bild bekommen sie von Migranten durch die Demonstrationen? Mit ist neulich von einem Spiel berichtet worden, das auf den ersten Blick harmlos wirkt, aber zeigt, wie Ausländer plötzlich im Fokus stehen. Jugendliche zählen dabei Farbige in der Straße. Sieger war der, der auf die höhere Zahl kam…
!Ulbrich: Tatsächlich müssten Eltern und Lehrer noch stärker sensibilisiert werden. In den Schulen das bewusste Miteinander gefördert werden. Wir bieten dafür zum Beispiel ein Rollenspiel an, in denen Schüler die Identität von Flüchtlingen annehmen, ihre Geschichte nachspielen.
Mehr zum Haus der Kulturen unter www.hdk-bs.de.