Braunschweig. Er durchstreift die niedersächsische Metropolregion wie ein einsamer Wolf.
Ihn zieht es von Hannover nach Helmstedt und Wolfsburg, von Göttingen nach Bargfeld, um in Braunschweig eine Heimstatt zu finden. Er besucht fast vergessene Stätten der Ausgehkultur, erlebt die Derbys zwischen Eintracht Braunschweig und den anderen, aber auch die Schönheit der dritten Kreisklasse. Er ist live dabei, als Ex-Landesvater Gerhard Schröder sich von seiner Super-Hillu trennt und die Hard-Rock-Kanoniere AC/DC das Expo-Gelände erleuchten. Frank Schäfer, Autor und Heavy-Metal-Fan, schaut genau hin und dem Volk aufs Maul. In seinem neuen Buch „Jagdszenen in Niedersachsen“ (Verlag Andreas Reiffer, 192 Seiten, Hardcover, 17,90 Euro) versammelt der Schriftsteller viele wahre Geschichten und eine tröstende Erkenntnis: Niedersachsen, du hast es besser! Wir sprachen mit ihm.
Frank, was hat es mit dem Titel deines neuen Buches auf sich?
Martin Sperr hat vor vielen Jahrzehnten mal ein ziemlich düsteres, Dorf und Provinz zur Ader lassendes Theaterstück mit dem Titel „Jagdszenen aus Niederbayern“ geschrieben. Die älteren kennen das vielleicht noch. Mein Titel ist so ein ironischer, aber auch nicht nur ironischer Bezug darauf. Die bigotte, komplett vernagelte Provinz von damals gibt es ja heute gar nicht mehr, allenfalls in Niederbayern, aber auch hier im Plattland gibt es natürlich Menschen, über die man den Kopf schüttelt.
Wie würdest du Niedersachsen im Jahr 2019 beschreiben?
Als ziemlich vielfältig und zum Glück halbwegs vielfarbig mittlerweile. Im Jahrgang meines Sohnes sind Deutsche, deren Eltern oder Großeltern aus einer Handvoll europäischer und nichteuropäischer Staaten eingewandert sind. Wenn ich von den Rechten mal wieder diesen Quatsch höre, Multikulti wäre gescheitert, dann möchte ich die nur einen Tag mal an die IGS Wilhelm Bracke schicken. Das ist dort nämlich gelebter, funktionierender Alltag. Man macht da keinen Bohei drum, weil es Normalität ist. Das gefällt mir sehr.
Was macht uns Niedersachsen aus – positiv wie negativ?
Ehrlich gesagt, weiß ich das umso weniger, je länger ich hier lebe. Ein paar Freunde von mir sind zugereist, und die wissen immer ganz genau, wie die Menschen hier ticken. Unfreundlich sind sie, unkommunikativ, schollenverbunden usw. Ich sage da nichts zu. Wer sich die Welt so schön in Vorurteilen eingerichtet hat, den will man doch nicht verunsichern. Aber zu jedem dieser vermeintlichen Kollektivcharaktermerkmale fallen mir immer ein paar Gegenbeispiele ein, Menschen die irgendwie ganz anders sind.
Welche Klischees über Niedersachsen möchtest du nicht mehr hören?
Man findet hier so schlecht Anschluss! Eine Freundin aus Süddeutschland sagt das gern, und wenn man sie dann ein paar Wochen oder auch mal Monate nicht gesehen hat, ist da wieder ein anderer Mann an ihrer Seite. Läuft bei ihr, trotz aller Zurückhaltung des hiesigen Menschenschlags. Ich war übrigens neulich in Lissabon und hab mich sofort wohlgefühlt. Eine Lehrerin, die auf einer deutschen Schule unterrichtet und fast zehn Jahre dort gelebt hat, erzählte mir, man würde mit den Einheimischen nicht warm werden. Ah, dachte ich mir gleich, Lissabon ist das Braunschweig Portugals, nur sture, maulfaule Bauern da. Für mich war das also wie nach Hause kommen.
Die tröstende Erkenntnis deines Buchs lautet: „Niedersachsen, du hast es besser!“ Warum?
Ach, ich wollte das mal schreiben. Das ist ja ein alter Goethe-Spruch, der meinte damals allerdings Amerika. Mir fällt aber immer wieder etwas auf, das passt ganz gut hierher. Neubürger lästern ja immer erstmal ein bisschen in der Zeit der Anpassung, und man ist als Eingeborener herausgefordert, ein gutes Wort einzulegen für Land und Leute. Aber irgendwann passiert es, dass ein noch neuerer Neubürger hinzukommt und erstmal kräftig loswettert, und plötzlich springt der ältere Neubürger in die Bresche und findet doch die eine oder andere Nudel in der Suppe. Man muss gar nichts mehr tun, man kann sich ganz entspannt zurücklehnen. Niedersachsen schafft einen. Über kurz oder lang werden sie alle eingemeindet.
Wie hat sich das Landleben in den vergangenen Jahren, auch durch den Zuzug von Städtern, in unserer Region verändert?
Genau kann ich das gar nicht sagen, aber ich kann ein Beispiel geben. Vor vierzig Jahren ist ein guter Typ aus Berlin in mein altes Heimatdorf gezogen. Man mochte ihn dort gleich. Er hat so ein Flair von Weltläufigkeit und Kosmopolitismus mitgebracht, das merkt man bis heute. Auch daran, dass man ihn immer noch mit dem Ehrentitel belegt, wenn man über ihn spricht: „der Berliner“! Das ist so wie bei Ron Wood und den Rolling Stones, der ist auch immer noch „der Neue“.
Im Buch sind viele trostlose Bushaltestellen-Häuschen abgebildet. Du huldigst der „Bushaltestelle“ mit einem schönen, melancholischen und abschließenden Gedicht. Was bedeutet dir dieser besondere (Aufbruchs-)Ort?
In der Bushaltestelle findet man die ganze Wehmut und Tristesse des Landlebens symbolisch verdichtet. Die Fotos muss man nicht kommentieren, die sagen alles. Zugleich trifft sich hier die Jugend und schwärmt von einer sagenhaften Zukunft. Es ist also auch ein Ort der Hoffnung und ein Ort emotionaler Höhenflüge, Sixpack und Sportzigaretten spielen dabei wohl auch eine Rolle, habe ich mir sagen lassen. Ich werde immer nostalgisch, wenn ich diese bejammernswerten Bushütten sehe.