7. Januar 2014
Menschen

Die unveröffentlichten Stinker in der Schublade

Andreas Dorau veröffentlicht mit „Aus der Bibliothèque“ pünktlich zum 50. Geburtstag ein neues Album und die Raritätenplatte „Hauptsache Ich“.

Andreas Dorau mag die Hamburger Bücherhalle am Hühnerposten. Foto: André Pause

Von André Pause, 08.01.2014.

Hamburg. „Diese Schnittbilder … Da steht man in der Bücherei, ist immer interessiert am blättern und kommt sich so dämlich dabei vor“, sagt Andreas Dorau mit gedämpfter Stimme. Um sein neues Album „Aus der Bibliotèque“ vorzustellen, muss der Musiker hier und da selbst vor die Kamera.

Eigentlich kennt er das Fernsehgeschäft aus der Zeit, in der er während seines Studiums Beiträge für den Bayerischen Rundfunk gemacht hat. Nur agierte er da auf der anderen Seite. „Die Person von links nach rechts jagen mache ich gerne, aber sich jagen lassen, das bockt nicht so“, lacht Dorau.

Dieser Monat wird seiner, sollte man meinen. Denn am 17. Januar erscheinen sowohl das neue Album sowie eine Platte mit Perlen und Raritäten aus den 32 Jahren seines musikalischen Schaffens: „Hauptsache Ich“. Nachdem die Plattenfirma Bureau B bereits den gesamten Atatak-Backkatalog rereleased hatte, wurde der Künstler gefragt, ob er sich eine Art Best-of zum 50. Geburtstag inklusive zweier Konzerte in Hamburg (18. Januar, Knust) und Berlin (25. Januar, Bi Nuu) mit musikalischen Gästen vorstellen könne. Erst sei er skeptisch gewesen. Winkend auf dem eigenen Ehrentag rumstehen und sich feiern lassen – nicht unbedingt Doraus Sache. „Was mich allerdings interessiert hat, war diese Raritätenplatte. Jeder Künstler ist ja irgendwie eitel und hat da ein paar komische Stinker in der Schublade liegen, die er doch gerne mal anderen zugänglich machen würde. Beim Durchhören meines Materials entdeckte ich vier Stücke, zwei unveröffentlichte, und zwei, die so obskur veröffentlicht waren, dass sie keiner kennen konnte. Sie hatten eines gemeinsam: Sie waren mit Gitarre. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum sie nie auf eines der Alben kamen“, skizziert der „ewige Knabe“ (Spiegel Online).

Was vom Klangbild zuvor nirgends passte, harmonierte plötzlich hervorragend zusammen. So keimte die Idee – „sechs weitere Stücke: Das schaffe ich doch“ – gleich noch eine neue Platte zu machen. „Aus der Bibliothèque“ ist das erste Album seit Mitte der 80er Jahre, bei dem Dorau geschlossen auf Bandsound setzt. Für den zeichnen sich die Labelmates von Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen verantwortlich. Banjo, Saxophon, Gitarre, Rhythmusmaschine, Klavier, Geigenbass und so weiter.

Mehr Instrumente waren wohl noch nie beim angehenden Jubilar. Und doch ist beim neuen Werk eines wie so oft: Ernstes, Trauriges, bisweilen sogar Morbides wird derart leicht und verspielt präsentiert, dass bei genauerem Hinhören schon mal das Lachen im Halse steckenbleibt. Politische und soziale Anklänge lassen sich wie in allen Veröffentlichungen Doraus klar identifizieren, die Musik fungiert im Gesamtkunstwerk Song gewissermaßen als Stimmungsprisma. „Mein Konzept, wie ich an Text und Musik herangehe, hat sich in den letzten 25 Jahren nicht geändert“, meint Dorau schmunzelnd. Und solange immer noch Leute darüber stolpern, sieht er sein Ziel eben immer noch nicht erreicht. „Meine Windmühle ist tatsächlich, diese Stereotype – Dur gleich lustig, Moll gleich Niveau – aufzubrechen: Dass ein Text, der was Ernstes oder Trauriges hat, eine traurige Musik haben muss, die ächzt und stöhnt, damit auch jedem klar ist, es handelt sich hier um etwas Tiefes.“

Anders als beim Vorgängeralbum „Todesmelodien“ gibt es bei „Aus der Bibliothèque“ keinen roten Themenfaden. Gedankenspiele zum Flaschenpfand, eine Ode an das Element Wasserstoff, das kommunikative Gebären einer sternzeichenfixierten Partybekanntschaft, eine gruselige Erinnerung an den Serienmörder Fritz Honka oder ein vertontes Dieter-Roth-Gedicht: Die Platte ist ein Inhalte-Sammelbecken. „Ich habe überlegt, ob es etwas gibt, das die Stücke verbindet, und dachte: ja, es ist tatsächlich die Bücherhalle, auch weil ich hier die musikalischen Anregungen gefunden habe“, berichtet Dorau. Und natürlich Material zum Sampeln. „Ich bin jeden Mittag hier reingegangen, habe zehn bis 20 CDs mitgenommen, wahllos, immer Platten, die ich nicht kenne, habe mir am Rechner Zweier- oder Viererakkordschemen herausgeschnitten, diese geloopt und dazu Texte ausprobiert. So entstanden die Skizzen, die ich später mit der Band geprobt habe.“

Mag der Sound des Albums durch die beteiligten Musiker einerseits homogen geworden sein, stilistisch ist die Platte different. Elektronik meets Pop meets Krautrock. Zeitlos und groß ist das – was möchte man mehr.

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