Von Ingeborg Obi-Preuß, 25.07.2015.
Braunschweig. Zielstrebig führt uns Ulrich Markurth an seinen ersten Lieblingsort. Direkt hinter der neuen Jugendherberge bleibt er auf der neuen Brücke stehen, streicht fast zärtlich über das Geländer. „Dieser Ort hier ist etwas ganz Besonderes für mich“, sagt er und umfasst mit einem Blick das gesamte Areal.
„Als ich Kind war, wohnten wir zunächst in der Mühlenpfordt-, später in der Gördelingerstraße, mit meinem Vater bin ich auf dem Gaußberg Schlitten gefahren, im Sommer haben wir hier Cowboy und Indianer gespielt.“ Später hat er Opas Krückstock zum Eishockeyschläger umfunktioniert und ist über die zugefrorene Oker geschlittert. Immer draußen, immer im gleichen Quartier, immer an der Oker. Und immer gegen die Konkurrenzbanden aus dem Eichtal, mit denen er zusammen zur Schule Pestalozzistraße ging und beim BSV Fußball spielte.
„Einmal haben wir uns mit fauligem Obst eingedeckt und gleich hier drüben auf dem Garagendach verschanzt“, erzählt Markurth und zeigt auf ein altes Gemäuer, das noch immer von der Wendenstraße aus zu sehen ist. „Die Eichtal-Gang ist in die Falle getappt“, erzählt er grinsend, „später allerdings mussten wir alles mühsam saubermachen – aber wir haben uns gefühlt wie Helden.“
In früheren Zeiten war das ganze Gebiet rund um den Geiershagen noch matschig.
„Die Oker mäanderte ja früher durch die Stadt“, sagt Markurth, „hier treffen mehrere, teils später verrohrte Flussarme aufeinander.“ Wildes Gestrüpp, voller Schätze, Feen und Geister für die Kinder. Und später der ideale Ort für die ersten Zigaretten.
Mit Grauen erinnert sich Markurth an Pläne der Stadt, die Straßenbahn direkt von der Wendenstraße über den Geiershagen und durch den Gaußberg zu führen. „Diese Zerstörung von Kulturgut konnten wir abwenden“, blickt er zurück.
Inzwischen gibt es erste Pläne, um den historisch bedeutsamen Ort stärker erlebbar zu machen, es wurden Mauerreste aus den Zeiten Heinrichs des Löwen gefunden, die in der Landschaft inszeniert werden könnten – allein, für die Umsetzung fehlt das Geld. Aber das kann ja noch kommen.
So wie für die Jugendherberge. Das Projekt hat auch lange gewackelt, war kompliziert, es gab Streit mit Nachbarn, aber jetzt öffnet der moderne Bau ganz neue Sichtachsen auf die Stadt, bestimmt das Viertel und wertet es auf. „Diese Jugendherberge war mir enorm wichtig“, sagt der Oberbürgermeister. Der Deal – das Steigenberger-Hotel im Bürgerpark und dafür eine Jugendherberge am Geiershagen – ist aus Markurths Sicht ideal.
„Seinem“ Kindheitsrevier wurde Leben eingehaucht. Hier hat er noch jede Menge Pläne. Als „Wassermann“ liegen ihm beispielsweise neue Stege und eine Beschilderung für die Menschen, die hier mit dem Paddelboot auf der Oker entlangkommen, am Herzen. Denn Ortsfremde stehen an dieser Stelle sozusagen auf dem Trockenen. Auch ein Weg für die Spaziergänger am inneren Umflutgraben entlang ist so ein Traum des Oberbürgermeisters.
„Durch die Jugendherberge werden jetzt junge Menschen hierher gelockt“, freut er sich, „denen sollten wir die Möglichkeit geben, sich hier in direkter Umgebung wohlzufühlen und Braunschweig zu erleben, zu Land und zu Wasser.“
„Das moderne Gesicht Eintrachts passt genau“.
Eintracht-Fan Ulrich Markurth spielt beim BSV – Die Entwicklung an der Hamburger Straße ist für den Oberbürgermeister enorm positiv
Braunschweig. „Mein kleiner Neffe hatte sich zur Einschulung von mir einen Fanschal gewünscht, aus der Stadt mit den grün-weißen Farben – wie heißt die noch gleich?“ – Ulrich Markurth muss laut lachen, als er die Geschichte erzählt. Die vom ungeliebten Hannover-96-Schal, den er verschenken sollte. Ausgerechnet er, Ulrich Markurth, der personifizierte Einträchtler.
„Ich bin bei jedem Spiel dabei“, sagt er und zeigt auf seinen relativ neuen Sitzplatz über dem Eingangstor neben der Haupttribüne. Bis vor Kurzem noch stand er in der Südkurve, jetzt sitzt er in Block 4RÜ. Mitten in seinem Guinness-Löwen-Fanclub. Eine Bruderschaft mit einer Präsidentin an der Spitze („gendermäßig in Ordnung“, sagt Markurth), dessen Ursprung mit der Braunschweiger Mumme zu tun haben soll („nicht belegt, aber ich glaube die Geschichte gern“).
Die nicht endenwollenden Diskussionen um den Stadionausbau kann er singen, die Wünsche nach einem Leichtathletik- und einem reinen Fußballstadion nachvollziehen. „Mit viel Geld hätten wir beides“, sagt er. „Aber viel Geld haben wir nicht, deshalb ist es gut so.“
Und die immerwiederkehrenden Sprüche: „Warum baut uns VW kein Stadion auf die grüne Wiese?“ kann er nicht mehr hören. „Welche grüne Wiese überhaupt?“, fragt er lakonisch, Braunschweig sei de facto dicht. Auch das Gemeckere über ‘Extralogen für die mit viel Geld’ geht ihm auf die Nerven. „Ohne ‘die mit viel Geld’ wäre das hier gar nicht zu machen gewesen“, erklärt er und zeigt mit großer Geste einmal ins Stadionrund.
„Es ist ein altes Gelände hier mit ganz viel Emotionen“, sagt Ulrich Markurth, springt flott über die Bande und geht über den „heiligen“ Rasen – ganz offensichtlich Fußball in der Seele.
Mit der Weltmeisterschaft 1954 sei Fußball Thema in Deutschland geworden, und in Braunschweig war die Meisterschaft 1967 ein Wendepunkt. „Die Menschen waren erstmals wieder stolz“, beschreibt Markurth die Stimmung einer ganzen Stadt. Und gerade für Braunschweigs Bewusstsein war das wichtig. „Für viele Menschen gingen doch damals hinter Hannover die Lichter aus“, sagt er.
Bei den Markurths gehört die Eintracht seit jeher zur Familientradition, schon die Eltern waren Mitglieder, aktive Schwimmer, die Mutter Landesmeisterin im Feldhandball. Und sie waren immer beim Fußball. „Fußball ist Leidenschaft“, sagt der Oberbürgermeister und erzählt von einem „grottenschlechten Spiel“, von dem er zu Hause nur schimpfend berichtete. „Warum gehst du überhaupt hin?“, hatte seine Frau Susanne ihn gefragt, und dann provokant hinzugefügt: „Du würdest da auch noch hingehen, wenn die Kreisklasse spielen, oder?“ Die einfache Antwort von Ulrich Markurth: „Ja“. Da sei allerdings der Fußballgott vor.
Ulrich Markurth spielt auch selbst (neben seinem geliebten Wassersport), aber immer schon und ausschließlich beim BSV. „Und gegen Eintracht haben wir immer verloren“, erinnert er sich.
Aber es ist mehr, als „nur“ Fußball, was ihn an diesem Ort beeindruckt und bewegt. „Hier ist die Keimzelle von Eintracht Braunschweig, hier wurde der erste Volkswagen entwickelt“, spricht der Oberbürgermeister von der Faszination des Ortes. Jetzt gehe es darum, das Stadion in die Weiterentwicklung an der Hamburger und der Gifhorner Straße gut einzubeziehen. Das moderne Gesicht Eintrachts passe genau zu der Entwicklung, die rund um das Stadion zu erleben sei. „Hier wird gebaut und erneuert, Firmen siedeln an, die Wasserwelt ist seit einem Jahr geöffnet, VW plant ein Parkhaus für 700 Autos“, beschreibt Markurth eine Aufbruchstimmung im Stadtviertel.
„Die Stadt nimmt insgesamt eine ausgesprochen positive Entwicklung“, sagt er, „im Rückblick wird klar, wie provinziell Braunschweig noch in den 70ern war.“
Aber – da sei auch noch viel Luft nach oben. Ulrich Markurth kann sich noch eine Menge vorstellen für „seine“ Stadt. „Die Clubszene beispielsweise ist ein bisschen schmal“, sagt der Jazzliebhaber.
Ein anderes Porträt
Frauen, Männer, Kinder – Menschen aus Braunschweig, die wir eigentlich kennen, möchten wir von einer anderen Seite vorstellen. Deshalb bitten wir sie, mit uns einen Stadtrundgang zu machen. Zu Lieblingsplätzen, Orten, die mit besonderen Geschichten verbunden sind, oder auch in die Ecken, die total unbeliebt sind.
Zu unserem ersten Spaziergang haben wir Oberbürgermeister Ulrich Markurth gebeten. Er wollte an zwei Orten Station machen: an der neuen Jugendherberge und im Eintracht-Stadion. Lesen Sie auf dieser Seite, warum, und was ihn mit diesen Orten verbindet.