4. November 2022
Buntes

Ein kleiner, morbider Ausflug

Reisetipp: Zu Besuch in Wien • Der Zentralfriedhof ist auf jeden Fall einen Besuch wert

Im Zentrum des Friedhofsgeländes steht die imposante Friedhofskirche. Foto: Stefanie Druschke

Was nimmt man auf die Liste, wenn man (nur) zwei knappe Tage Zeit hat, um Wien zu erkunden? Wie verteilt man die Prioritäten? Nach Bedeutung? Also danach, was man gesehen haben „muss“? Oder nach Lage der Sehenswürdigkeiten, um die Zeit möglichst ökonomisch zu nutzen?
Wir entscheiden uns für: Jeder schlägt nach Lust und Laune etwas vor. Und so wandeln wir zwar ausgiebig durch die Parkanlagen von Schloss Schönbrunn, lassen uns aber bei dem schönen Wetter nicht in die Innenräume locken. Dafür geht es in den Stephansdom. Für eine Besichtigung der Hofreitschule lässt sich mein Mann unter keinen Umständen begeistern, das Sisi Museum in der Hofburg spreche ich sicherheitshalber mal gar nicht an…
Dafür findet ein anderer, zugegeben etwas morbider Vorschlag Zustimmung: Ich möchte mir den Wiener Zentralfriedhof ansehen. Das Areal ist knapp zweieinhalb Quadratkilometer groß und als der Friedhof 1874 eröffnet wurde, galt er als der größte in Europa.
Weltbekannte Musikgenies von Beethoven über Brahms, Schubert und Johann Strauß Senior und Junior bis zu Udo Jürgens und Falco haben hier ihre letzte Ruhe gefunden. Wir entdecken die letzten Ruhestätten von Hans Moser, Theo Lingen und Curd Jürgens. Im Zentrum des Friedhofsgeländes steht die imposante Friedhofskirche zum Heiligen Karl Borromäus. Unmittelbar davor befindet sich die Präsidentengruft, in der seit 1951 die österreichischen Bundespräsidenten beigesetzt werden.
Als wir mit unserem Spaziergang beginnen, lassen wir uns erst einmal treiben. Die Grabanlagen sind oft beeindruckend monumental, mit Marmor und Gold verziert und oft mit berührenden Inschriften versehen, die beredt über das Schicksal der Verstorbenen und das Leid der Hinterblieben Auskunft geben. Befremdlich dagegen kommen mir reservierte Grabstellen vor, auf denen sich Menschen bereits mit Fotos und Namen verewigt haben, die aktuell noch unter den Lebenden weilen. Das finde ich nun wirklich gruselig. Apropos gruselig: Wenn ich noch einmal wiederkommen sollte, dann im Dunkeln: Von Oktober bis März werden Nachtführungen angeboten, bei denen der Friedhof mit Taschenlampen erkundet wird und dazu gibt’s schaurige Geschichten.
Mit Hilfe der freundlichen und fleißigen Friedhofsgärtner finden wir Touris schließlich auch die Gräber von Udo Jürgens, dessen Urne in einem weißen Marmor-Konzertflügel liegt und das von Falco mit einem drei Meter hohen Obelisken und einer Panzerglasscheibe mit lebensgroßem Abbild des Sängers.
Die Wiener selbst lieben ihren Zentralfriedhof vor allem als Naherholungsgebiet und Naturparadies. Nicht nur Eichhörnchen, sondern auch Turmfalken, Feldhamster, Marder, Dachse und Rehe können hier den Weg kreuzen. Oder eben Jogger. Für Touristen geben aktive Sportler auf dem Friedhof erst einmal ein ungewohntes Bild ab, hier ist das ganz normal und sogar Radfahren ist erlaubt. Und Fußlahme oder Faule können sich mit einem Fiaker chauffieren lassen.
Zum Zentralfriedhof selbst fährt seit 1907 die Straßenbahnlinie 71. Sie hat sogar Eingang in den Sprachgebrauch gefunden: Manche sagen über einen Verstorbenen, er habe „den 71er genommen“…

Auch interessant