Von Ingeborg Obi-Preuß, 20.06.2015.
Braunschweig. Die Nerven liegen blank. Die Gewerkschaft Verdi hatte Mitarbeiterinnen aus Kitas, Jugendklubs und anderen sozialen Einrichtungen eingeladen, mit Vertretern des Rates über die Forderungen im Arbeitskampf im Sozial- und Erziehungsdienst zu diskutieren.
Einige Frauen (es waren fast nur Frauen) im Publikum nutzten die Gelegenheit, um einfach mal den „ganz normalen Wahnsinn“ ihres Alltages zu schildern.
Kathrin beispielsweise, sie erzählte aus dem Familienzentrum im Westlichen Ringgebiet: „Für die gesetzlich geforderte dritte Kraft in den Krippengruppen gibt es gar keine Leute, wir finden niemanden, sollen wir uns die backen?“ Oder Heike, Leiterin der Städtische Kindertagesstätte Rühme: „Ich könnte hier heulen“, sagte die Frau, die seit mehr als 20 Jahren im Kita-Dienst ist, mit brechender Stimme, „wir sind ständig unterbesetzt, Krankmeldungen nehmen zu, und ganz aktuell hat sogar eine Kollegin gekündigt, weil sie die Überbelastung nicht mehr aushält. Ich bin fassungslos und traurig.“
Das waren die Vertreter der Ratsfraktionen am Ende des Abends auch, zumindest relativ ratlos. Aber: „Wir unterstützen Sie in ihrer Forderung nach einer Aufwertung der sozialen Berufe“, war am Schluss eine einhellige Meinung.
Alle sechs im Rat vertretenen Fraktionen hatten die Einladung der Gewerkschaft angenommen, die Abgeordneten von Bibs und Piraten mussten kurzfristig wegen Krankheit absagen. Immerhin: Elke Flake (Grüne), Klaus Wendroth (CDU), Annette Schütze (SPD) und Udo Sommerfeld (Linke) stellten sich den Fragen von Gewerkschaftssekretär Dr. Frank Ahrens und denen der Gäste.
„Wir befinden uns im aktuellen Tarifkonflikt in der Schlichtungsphase“, sagte Ahrens zum Beginn der Diskussion. Für Montag werde eine Empfehlung der Schlichtungskommission erwartet, die dann auf beiden Seiten diskutiert werden müsse.
An diesem Abend im Gewerkschaftshaus sollten die Lokalpolitiker von einer „fraktionsübergreifenden Initiative aus Braunschweig an den Bund“ begeistert werden.
Daneben wurden ihnen drei konkrete Fragen gestellt:
– Wie stehen Sie zu einer Aufwertung aller Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst?
– Was soll mit dem Geld passieren, das die Stadt durch den Streik eingespart hat?
– Welche Initiativen unternehmen Sie und Ihre Partei, um endlich zu einer besseren Finanzausstattung der Kommunen zu kommen?
Es herrschte relativ viel Einigkeit bei der Beantwortung. Die Wichtigkeit und auch die Forderung nach höherem Lohn wurden von allen Vertretern auf dem Podium beteuert und bestätigt. Doch: „Wer soll das bezahlen?“ – diese Frage blieb.
Klaus Wendroth (CDU) verwies darauf, dass es um einen bundesweit geltenden Tarifvertrag gehe, „Mit Mitteln der Stadt, selbst wenn wir wieder Gebühren einführen würden, lässt sich das nicht darstellen.“ Annette Schütze (SPD) forderte, den Erzieher-Beruf mit den Grundschullehrern gleichzustellen.
Auch für die geforderte Gleichstellung für die Erst- und Zweitkräfte gab es nur Zustimmung.
Die dritte Kraft für die Kindergartengruppen gibt es in Braunschweig nur in „schwierigen Stadtteilen“, erklärte Elke Flake (Die Grünen), da seien andere Kommunen weiter. Der Kampf um Fachkräfte habe begonnen. Sie versprach, sich für die Einführung der dritten Kraft einzusetzen. „Ich erinnere mich an den Satz eines früheren Stadtdirektors: Für das, was gewollt wird, ist auch immer genug Geld da.“
Das während des Streiks von der Stadt eingesparte Geld (rund 600 000 Euro) solle „im Budget des Jugendamtes“ bleiben, da waren sich alle einig. Einige Gäste schlugen einen Finanzpool vor, in den das Geld gezahlt werde, und an dem sich die Wirtschaft beteiligen müsste: „Schließlich geht es auch um ihren Nachwuchs.“
Eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen wünschten sich alle Vertreter der Ratsfraktionen. Ähnlich wie bei der Grundsicherung im Alter müsse mehr Geld für die Erziehung vom Bund kommen. Denn „egal, wer an der Regierung ist, den Letzten beißen die Hunde, und das sind wir, die Kommunen“, sagte Flake, auch und gerade eine Resolution bringe gar nichts. Der einzige Weg, Forderungen in Berlin wirksam anzubringen, führe über den Städtetag.
Aus dem Publikum kam der Vorschlag, die Lokalpolitiker sollten gemeinsam mit den Erzieherinnen nach Berlin zu einer Großdemo fahren. „Geht mit uns in der ersten Reihe.“