16. März 2021
Menschen

Fazit: „Ehrenamt macht glücklich“

NB-Porträt: Ehrenamt gehört für Véronica Scholz dazu. Aber sie musste lernen, dass die eigenen Ideen nicht immer die besten sind

Stationen des Ehrenamts: Véronica Scholz hilft dem 19-jährigen Flüchtling Lassine Coulibaly, sich in dem für ihn so fremden Deutschland zurechtzufinden. Foto: Peter Sierigk

Braunschweig. „Was willst du über mich denn schreiben?“, fragt Véronica Scholz erstaunt, „ich bin doch gar nicht interessant, ich bin eine ganz normale Frau und so spannend ist mein Leben ja auch nicht.“ Da hat sie recht, sie ist eine ganz normale Frau. Aber spannend ist ihr Leben schon. Und vor allem das, womit sie sich für das Glück, das sie erlebt hat, bedankt: Mit ihrer Stiftung PharmHuman.

Stiften ist eine besondere Form des Ehrenamtes

Wir kennen uns schon ein paar Jahre, wir sitzen beim gleichen Friseur zu den gleichen Terminen, das verbindet. Inzwischen treffen wir uns auch außerhalb des Friseursalons. Mich beeindruckt viel an ihr. Besonders aber die Selbstverständlichkeit, mit der sie über ihre Stiftung spricht. Als ob jeder von uns eine Stiftung gründen könnte. Oder könnten wir das tatsächlich?

„Es ist eine besondere Form von Ehrenamt“, erklärt Véronika Scholz, „zum Gründen braucht man schon einen Kapitalstock. Aber jeder kann zustiften und spenden, auch mit kleinen Summen. Es gibt zig Stiftungen allein in Braunschweig, zu ganz vielen Themen.“
Dennoch – eine Stiftung gründen – das hört sich so abstrakt an, wie kam sie auf die Idee? „Nun”, sagt die Pharmazeutin, die als Apothekerin und Trainerin gearbeitet hat, „ich wollte nach meiner beruflichen Laufbahn etwas machen. Etwas, das sinnhaft ist, aber auch etwas, das mir Freude bereitet.” Und sie wollte nicht einfach nur Geld geben, sondern mitgestalten. Also eine Stiftung.

Nachdem sie ihren Wunsch blauäugig bei der damaligen Bezirksregierung vorgestellt hatte, wurde ihr klar, dass es so einfach dann doch nicht geht. Sie musste sich Gedanken über eine Satzung machen, Sinn und Zweck einer Stiftung müssen genau definiert sein. Eine Stiftung ist ein generationsübergreifendes Projekt. Sie braucht Beständigkeit. Die ideale Lösung bot sich schließlich für sie unter dem Dach der Bürgerstiftung.
„Als ich dort zum ersten Beratungsgespräch war, fühlte ich mich gleich wohl“, erzählt sie. Der Bürgerbrunch wurde damals gerade vorbereitet, überall lagen Plakate, Tischdecken und T-Shirts, Proviantpakete wurden gepackt. „Es war so eine normale, freundliche Atmosphäre“, erinnert sich Véronica Scholz genau, „das waren Leute wie du und ich. Gar nicht elitär und nobel.“

Véronica Scholz bekommt 2013 im Dom den Luise-Löbbecke-Ring von der damaligen Ministerin Cornelia Rundt und Daniel Bresser vom Bankhaus Löbbecke. Foto: Rudolf Flentje

Kurz darauf kam ihr erster „Auftrag“. Einen Tag vor Heiligabend. Sie stand in der Umkleidekabine im Wäschehaus Langerfeldt, als ihr Handy klingelte. Ein Apothekerkollege aus Bayern in einer Notsituation: Er brauchte dringend Medikamente für ein Ärzteteam, das schon wenige Tage später nach Afrika fliegen sollte, um an Noma erkrankte Kinder zu operieren. Bei der Beschaffung des benötigten Narkosemittels war etwas schief gegangen. Was nun? Einfach in großen Mengen die Spritzen in der Apotheke besorgen? So einfach geht das nicht. Es mussten Kinderdosierungen für die Anästhesie berechnet, von den bayrischen Ärzten die Rezepte angefordert, die Bestellung und Lieferung unkompliziert und zeitnah nach München organisiert werden.

Véronica Scholz reagierte schnell. Sie telefonierte noch aus der Umkleide mit ihrem Sohn, der die Petri-Apotheke in Salzgitter besitzt. Und gemeinsam erarbeiteten sie die Lösung: Den nötigen Stoff in geringere Dosierung bestellen, damit keine komplizierten Genehmigungsverfahren den Weg erschweren. Am Ende rief sie im Pharma-Großhandel an und überredete dort einen Mitarbeiter, die nötigen Medikamente noch kurz vor der Weihnachtspause zu versenden.

Ein erster Erfolg. Danach begann sie, ihre Arbeit genau zu planen, Partner zu suchen. Die erste Hürde: mehr Geld für die Projektarbeit war nötig, denn das Grundkapital einer Stiftung muss unangetastet bleiben. Nur die Renditen stehen zur Verfügung. Für ihre Projekte hat sie zusätzliche Gelder, zum Beispiel bei der Kroschke-Stiftung, eingeworben. Nischenthemen hat sie gesucht und gefunden, wie das Projekt „Sichere Arzneimittel für Kinder.“

Gemeinsam mit dem Klinikum Braunschweig und dem pharmazeutischen Institut der TU haben angehende Pharmazeuten Datenerhebungen über die Medikamentengabe auf der Neugeborenenstation durchgeführt. Notwendigerweise werden dort auch Arzneimittel, die nur eine Zulassung für Erwachsene haben, den Frühchen verabreicht.

Mit diesen und anderen Projekten konnte sie helfen, aber sich auch engagieren. „Ich habe das alles in erster Linie für mich gemacht“, erzählt sie lachend. In ihrem Berufsleben, vor allem in der Zeit als Trainerin und Coach in der Pharmaindustrie, habe sie auch mit viel Druck umgehen müssen. „Ellenbogen waren durchaus gefragt, ich musste mitunter hart verhandeln“, erzählt sie aus dieser Zeit. Sie war erfolgreich und konnte ihr berufliches Ende selbst wählen. „Mit Anfang 60 habe ich mir gesagt: Jetzt ist Schluss. Ich wollte gehen, solange ich noch richtig gut war.“

Die Ellenbogen werden nicht mehr gebraucht

Also hat sie ihr Unternehmen verkauft. Danach wollte sie genau das tun, was sie besonders gut kann: Pharmazeutische Projekte organisieren, helfen, sinnvoll planen. Eine Stiftung erschien da schnell als die ideale Lösung. „Das ist das Schöne am Ehrenamt“, erzählt sie, „die Ellenbogen werden nicht mehr gebraucht.“

Das Thema Ehrenamt zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Véronica Scholz. Schon bald nach dem Studium war sie mit ihrem ersten Mann für viele Jahre im Ausland, unter anderem in Jarkata/Indonesien und in Quito/Ecuador. „Wir hatten immer ein großartiges Haus, einen traumhaften Garten, Personal, das sich um alles kümmerte“, blickt sie auf ein privilegiertes Leben zurück. „Aber schon drei Meter entfernt standen die Hütten der Menschen, die in unserem Hausmüll nach essbaren Resten suchten“, beschreibt sie das Elend. Ihr war schnell klar, dass sie helfen will. Und sie musste mühsam lernen, dass gut gemeint nicht immer gut gemacht ist.

„Wir haben einem armseligen Kinderheim Schaumstoffmatratzen gebracht, denn die Kinder lagen auf den nackten Metallfedern“, erzählt sie. Beim nächsten Besuch waren die Matratzen weg. „Weil die Kinder sie vor Hunger abgepult und gegessen hatten, musste man sie wegräumen, wurde uns erklärt“, erinnert sich Véronica Scholz an Szenen schwer vorstellbarer Armut. Auch Spielzeug, das sie für die Kinder gekauft hatten, war ruckzuck weg. „Die jungen Frauen, die sich um die Waisen kümmerten, hatten selbst kaum etwas“, lernte sie später, sie hatten das Spielzeug auf dem Markt verkauft. Nicht bewerten, sondern die Menschen direkt fragen, was genau sie brauchen – einer ihrer Leitsätze für das Ehrenamt, die sie gelernt hat. Und beherzigt. „Denn die eigenen Ideen sind nicht immer die besten“, ist ihr klar.

Schon damals im Ausland hat sie begonnen, sich auf das zu konzentrieren, was sie gut kann: Organisieren. Nach Plan arbeiten. Dinge voranbringen. Sie hat sich Leuten angeschlossen, die genauso gearbeitet haben. Und sie hat genau geschaut, was nötig ist, um Strukturen zu verbessern. In einem Fall hat sie zum Beispiel alle Hebel und ihr Netzwerk in Bewegung gesetzt, um mit der Unterstützung des Bundesamtes für wirtschaftliche Zusammenarbeit Reisspeicher zu bauen. „Die Ernte ist bis dahin entweder von Ratten gefressen worden oder sie ist verregnet“, erzählt sie.

Zeit, kürzer zu treten

Nach 14 Jahren ist sie aus der aktiven Stiftungsarbeit ausgestiegen. „Ich bin jetzt 72 Jahre alt, Zeit, etwas kürzer zu treten.“ Zumal sie gern mit ihrem Ehemann, den inzwischen erwachsenen vier Kindern und sieben Enkelkindern mehr Zeit verbringen möchte. „Seit Corona habe ich außerdem einen festen Job als Online-Nachhilfelehrerin bei einem meiner Enkel“, erzählt sie lachend. Mit ihrer Stiftung unterstützt sie jetzt „nur“ noch Einzelprojekte. Gerade gingen 2000 Euro von PharmHuman an den Tagestreff Iglu. Auch hier sollen damit Strukturen gestärkt werden, die in die Zukunft weisen. Im konkreten Fall wird mit dem Geld das Material für die ehrenamtlich arbeitenden Ärzte im Iglu finanziert.

Ihr Fazit: „Ehrenamt macht glücklich. Allerdings sollte man sich zurücknehmen und genau schauen, was die Menschen, denen man helfen möchte, wirklich benötigen.“ Und es müsse ja nicht gleich eine Stiftung sein, „es gibt so viele Möglichkeiten, sich auch ohne finanzielle Mittel einzubringen“, sagt sie, „da ist für jeden etwas dabei. Und man selbst profitiert am meisten“, macht sie Mut zur guten Tat.

Auch interessant