Der Baum ist groß. Obwohl, das stimmt nicht wirklich. „Groß“ wäre ein zu kleines Wort für ihn. „Gigantisch“ passt eindeutig besser.
Er misst 87 Meter, vom Boden bis zur Spitze. Dabei fällt „The Big Tree“ in diesen Wäldern nicht einmal besonders auf. Hier im Redwood Forest National Park im Norden Kaliforniens stehen die Baumriesen dieses Planeten, einige erreichen 100 Meter oder mehr. Viele dieser Bäume sind uralt – 2500 Jahre und älter – und erreichen einen Durchmesser von bis zu sechs Metern. Durch einen konnten Katharina und ich sogar mit dem Auto hindurchfahren, hier hat man einen kleinen Tunnel durch den Stamm getrieben. Ansonsten bewegen wir uns in dieser Gegend vor allem aber zu Fuß. Das Erlebnis einer Wanderung durch die Redwood-Wälder kommt einem Trip durch einen Märchenwald gleich. Die Höhe der Bäume rückt für uns vieles zurecht, zuallererst die Rolle, die wir Menschen in dieser Umgebung spielen. Es ist eine untergeordnete: Die Flüsse sind reißend und eisig kalt, Feuer wütet hier regelmäßig, wie wir an angekohlten Baumstämmen erkennen können, Bär und Puma teilen sich die Herrschaft im Wald. Nach mehr als zehn Meilen auf zwei verschiedenen, wunderschönen Trails haben wir unseren Hunger nach Waldeinsamkeit an diesem Tag gestillt, aber unsere Mägen sind leer. Dementsprechend froh sind wir auch, als uns nach einer halben Stunde Autofahrt ein Schild am Straßenrand auffällt: „Never don´t stop here – The Peg House“.
Die zwei Blockhütten im Wald sehen einladend aus, also halten wir. Neben Redwood-Schnitzkunst, Bigfoot-Souvenirs und allerlei Merchandise gibt es hier in der zweiten Hütte auch hausgemachte und extrem lecker klingende Burger und Sandwiches. Rotwild und Lachs aus der Gegend gehören dabei zu den häufigsten Zutaten. Voller Vorfreude geben wir unsere Bestellung auf. Tim, einer der drei jungen Männer, die den Laden schmeißen, schreibt mit. Allerdings haben wir kein Bargeld dabei, also muss es mit der Kreditkarte gehen. Tim zieht meine Karte durch sein Gerät, ein unangenehmer Ton verrät: Fehler. Noch ein Versuch, wieder nichts. Das gleiche passiert mit Katharinas Karte. Wir werden nervös. Stimmt was mit den Karten nicht, ist das Geld alle? Oder ist es hoffentlich nur das Lesegerät? Zusammen gehen wir nach nebenan in den Shop und versuchen es dort an der Kasse, wieder erfolglos. Ein zusätzliches unschönes Gefühl macht sich in der Magengegend breit, ich sehe uns schon ohne Geldmittel in den USA stranden. Noch größer als die Unsicherheit ist allerdings der Hunger. Tim hat die Situation genau erkannt, er liest die Verzweiflung in unseren Gesichtern. „Kein Problem, Leute, ich zahle die Burger für euch!“ Ich verstehe nicht ganz, was er meint. „Ich zahle eure Burger von meinem Trinkgeld“, präzisiert er. „Ihr könnt nicht ohne etwas im Magen hier wegfahren.“ Wir versuchen nur schwach, ihn von seiner Idee abzubringen. „Ich möchte das wirklich für euch machen, betrachtet es als meine gute Tat für heute!“ Zwanzig Minuten später sitzen wir vor zwei fantastischen, frischen Hamburgern, voller Vorfreude und Dankbarkeit. Ich verspreche Tim, ihm das Geld in einem Brief zuzuschicken, sobald es geht.