11. August 2015
Menschen

„Ich mach das jetzt mal einfach“

Unternehmer Oliver Schatta nahm einen Flüchtling als Praktikant in seine Autowerkstatt auf.

Oliver Schatta (l.) nahm einen Flüchtling aus Eritrea als Praktikanten in seine Autowerkstatt auf. Eine gute Entscheidung, findet er. Foto: Thomas Ammerpohl.

Von Birgit Leute, 12.08.2015.

Braunschweig. Seit Ende Juli können Flüchtlinge leichter ein Praktikum aufnehmen – theoretisch. An der praktischen Umsetzung hapert es allerdings noch. Einer der den Schritt wagte, ist Oliver Schatta.

Drei Wochen lang ließ er den 22-jährigen Abdzeg aus Eritrea seinen Mechanikern über die Schulter schauen. „Eine gute Entscheidung“ findet der Unternehmer und Innungsobermeister aus Rüningen.

„Auf dem Gebiet ist immer noch wenig geregelt“, sagt Schatta. Der Kontakt zu Abdzeg oder auch nur die Frage, wer denn die Fahrkarten von der Unterkunft in Cremlingen nach Braunschweig bezahlt – all das funktionierte vor allem durch Privatinitiative. „Mir war wichtig, Abdzeg zu zeigen, wie der Alltag in Deutschland funktioniert“, sagt Schatta und hofft über diese Initiativen auch „ein bisschen Normalität“ in die derzeit hitzige Debatte für und gegen Flüchtlinge hineinzubringen.

Abdzeg wischt sich die ölverschmierten Hände am orange-roten T-Shirt ab. Seit drei Wochen schaut der junge Mann aus Eritrea unter die Motorhaube von Autos. „Abdul“ nennen ihn seine Kollegen kurz – das ist einfacher als Abdzeg Salih Idris. „Ist schon ok“, sagt Abdzeg lächelnd.

Der 22-Jährige ist Praktikant im Autohaus Schatta. Dass es überhaupt damit geklappt hat, ist Oliver Schatta zu verdanken, der sich über alle Bedenken und Vorurteile hinwegsetzte und nach dem Motto „Ich mach das jetzt mal einfach“ einen Flüchtling in die Werkstatt aufnahm.

„Anfang des Jahres hatte die Awo eine Praktikumsbörse für Migranten eingerichtet, doch die Resonanz war schleppend“, erinnert sich Schatta, der auch Innungsobermeister und CDU-Ratsherr ist. Schatta hörte sich die Probleme an, griff kurz entschlossen zum Telefonhörer und mobilisierte noch ein paar befreundete Unternehmer. Mit Erfolg: Zwei Flüchtlinge kamen bei ihm und ST Metallbau unter. Zwei weitere fangen in Kürze bei Draht-Thein und der Evers-Bau-Tischlerei an. Alle wohnen in Cremlingen. Mit dem Bus pendelt Abdzeg täglich zu seinem Praktikumsplatz.

„Diesen Kontakt herzustellen war gar nicht so einfach“, sagt Schatta. Da Braunschweig nur eine Erstaufnahme-Einrichtung hat, gibt es keine Flüchtlingsheime, in denen Asylsuchende längerfristig wohnen. Irgendwann fiel der Name „Weber“, ein Ehepaar, das sich gemeinsam mit weiteren Ehrenamtlichen um Flüchtlinge in Cremlingen kümmert. Treffer. Durch die Vermittlung von Gerhard und Monika Weber konnte Abdzeg nach mehr als einem Jahr des „Nichtstuns“ endlich mal wieder anpacken. „Was gibt es für die jungen Leute Besseres, als mal in den deutschen Arbeitsalltag reinzuschnuppern? Einen Tagesrhythmus zu haben“, ist Schatta überzeugt.
Und wunderte sich. Denn obwohl er für Abdzeg extra seine zusätzliche Praktikumsstelle eingerichtet hat, musste er sich einiges anhören. „Jetzt nimmst du den deutschen Jugendlichen auch noch das Praktikum weg“, „Du willst den doch nur ausnutzen“, „Neger-Freund“ flogen ihm die Stammtischparolen um die Ohren. Schatta winkt ab. „Da hör‘ ich gar nicht hin.“ Tatsächlich sieht er Abdzegs Tätigkeit als Schnupperpraktikum und übernimmt zu einem Teil auch die Busfahrkarten.

„Das eigentliche Problem sind doch nicht die Sprüche oder die mangelnde Bereitschaft der Unternehmer. Das wirkliche Problem ist, dass es noch keine Regeln für die Beschäftigung für Flüchtlinge gibt. An wen kann man sich als Firmenbesitzer wenden, wer übernimmt eventuelle Kosten, wie laufen die Asylverfahren ab und was heißt das für mich und meinen Praktikanten oder gar Auszubildenden“, zählt Schatta auf, der als Ratsmitglied auf eine Beschleunigung und Vereinfachung von Verfahren drängt.

Für Abdzeg, der als junger Mensch vor der Diktatur und der Hoffnungslosigkeit floh, sind diese Fragen erst einmal nicht wichtig. Er hat‘s geschafft. „Es macht Spaß hier“, sagt der junge Eritreer. Ein höflicher, aufmerksamer und hilfsbreiter Kollege.

Hintergrund:

Rechtslage wirkt bislang eher abschreckend

Der gute Wille ist da. „Wir haben den Eindruck, dass sich unsere Handwerksfirmen vorstellen könnten, Flüchtlinge als Praktikanten oder Auszubildende einstellen zu können“, sagt Sandra Jutsch, Pressesprecherin der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade. Auch die Industrie- und Handelskammer würde „Erleichterungen im Bereich Arbeits- und Ausbildungsaufnahme begrüßen“, bestätigt Anje Gering, IHK Braunschweig.
Die Rechtslage wirkt allerdings bislang eher abschreckend als ermutigend. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg unterscheidet insgesamt drei Aufenthaltstitel, die darüber entscheiden, ob und wann der Asylsuchende eine Arbeit aufnehmen darf.

Anerkannte Asylbewerber mit einer Aufenthaltserlaubnis haben es am einfachsten: Sie dürfen während der Laufzeit (meist ein bis drei Jahre mit der Möglichkeit der Verlängerung) uneingeschränkt arbeiten.
Schwieriger wird es bei Bewerbern, die sich noch im Asylverfahren befinden und nur eine sogenannte „Aufenthaltsgestattung“ haben, sowie Bewerber, deren Antrag abgelehnt wurde und nur noch „geduldet“ sind. „Für Unternehmer besteht immer die Gefahr, dass der Auszubildende oder Praktikant plötzlich abgeschoben wird und damit dem Betrieb abhandenkommt“, sagt Jutsch.

Ein kürzlich im Bundestag verabschiedetes Gesetz soll Verbesserung bringen.
Es sieht vor, dass Flüchtlinge, die in Deutschland eine Ausbildung beginnen und unter 21 Jahre alt sind, für jeweils ein Jahr geduldet werden. Wird das erste Ausbildungsjahr erfolgreich absolviert, kann die Duldung verlängert werden.

„Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber damit sind die Ausbildungsmöglichkeiten für Flüchtlinge nur ein wenig verbessert worden“, kritisiert Detlef Base, Präsident der hiesigen Handwerkskammer. Geduldete müssten bundesweit einen gesicherten Aufenthaltsstatus während der gesamten Berufsausbildung erhalten und in jedem Fall eine Ausbildung beenden können. „Für eine vernünftige handwerkliche Ausbildung ist eine systematische Planung auch über ein Jahr hinaus erforderlich“, betont Bade.

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