Von Maria Lüer, 27.01.2017.
Helmstedt. Es ist ein Parlament der Silberhäupter und Glatzenträger: 49,7 Jahre beträgt das Durchschnittsalter der Bundestagsabgeordneten in der gegenwärtigen Legislaturperiode. Nur ein Drittel der unter 30-Jährigen findet Politik interessant. Was aber motiviert die Jugend, sich in einer Partei zu engagieren? Lars Alt, Kreisvorsitzender der FDP Helmstedt und Landesvorsitzender der Jungen Liberalen Niedersachsen, weiß: Es ist es die Möglichkeit, in seiner Heimat etwas zu bewirken. Wir trafen den 25-Jährigen zum Interview.
?Herr Alt, ist Politik für Sie wie eine Droge?
!Politik ist meine große Leidenschaft. Gleichzeitig ist mir als FDP-Mitglied aber vor allem Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung wichtig. Ich würde mich nie vom politischen Betrieb abhängig machen. Abhängig bin ich nur vom Vertrauen der Wähler, was ich auch als Motivation für meine politische Arbeit sehe.
?Wie führen Sie Ihren Wahlkampf?
!Ich mache vor jeder Wahl deutlich, wofür ich stehe. Wer mir sein Vertrauen durch seine Stimme gibt, soll nach der Wahl keine Überraschungen erleben. Ich sage, was ich denke und ich mache, was ich sage. Ich glaube, dass diese Verlässlichkeit und Berechenbarkeit das Entscheidende ist, damit die Menschen den Glauben an die Gestaltungskraft von Politik nicht verlieren. Meinen Wahlkampf führe ich mit modernen Kampagnen – vor allem über die sozialen Medien wie Facebook und Instagram. Dort veröffentliche ich Fotos, Videos oder Pressebeiträge. So kann sich jeder einen direkten Eindruck von meiner politischen Arbeit auch zwischen den Wahlkampfjahren machen.
?Aus welchen Gründen sind Sie in die Politik gegangen? Gibt es ein politisches Schlüsselerlebnis?
!Den Zugang zur Politik habe ich über einen sehr guten Politiklehrer am Gymnasium Julianum gefunden, der mein Interesse für das Fach geweckt hat. Danach habe ich mich rund sechs Monate über alle Parteien informiert und habe viele Veranstaltungen besucht. Im Alter von 16 Jahren habe ich mich anschließend für die FDP entschieden, weil sie im Ergebnis nicht den Staat, sondern den Einzelnen in seinen Entfaltungsmöglichkeiten stark machen will.
?Wie ist das als junger Mensch in der Politik? Werden Sie ernst genommen oder für Ihre Ideen belächelt?
!Das Durchschnittsalter in vielen politischen Gremien, so auch im Helmstedter Kreistag, liegt nahezu bei 60 Jahren. Natürlich ist man dort als junger Politiker zunächst ein Exot. Aber spätestens wenn man das erste Mal am Rednerpult für Aufmerksamkeit sorgt, ist es mit dem Welpenschutz vorbei. Als junger Politiker denke ich nicht in Wahlperioden, sondern in Generationen. Viele Themen, insbesondere im Bereich der Bildungspolitik, Rente und Digitalisierung, betrachte ich aus ganz anderen Blickwinkeln als ältere Kolleginnen und Kollegen. Als Landesvorsitzender der Jungen Liberalen und als Mitglied des FDP-Landesvorstandes versuche ich auch parteiintern meiner Generation eine Stimme zu geben. Beim letzten Landesparteitag haben wir beispielsweise die Position der FDP zum Thema Wählen ab 16 gedreht – und nun steht die Landtagsentscheidung kurz bevor. In diesen Momenten wird dir klar: Du kannst wirklich etwas verändern. Wirklich.
?Ist „Jung-Sein“ plötzlich ein Wert an sich in der Politik?
!Nein. Ich glaube nur, dass sich in den Parlamenten alle Altersgruppen, Geschlechter, Berufe und Bildungsstände angemessen widerspiegeln müssen. Das Interessante ist doch, dass momentan viele Zukunftsentscheidungen, beispielsweise in der Rentenpolitik, von Politikern getroffen werden, die von ihren eigenen Beschlüssen gar nicht mehr betroffen sind. Hier müssen junge Politiker stärker einfordern, auch über ihre eigene Zukunft bestimmen zu dürfen. Vor Ort habe ich beispielsweise über Jahre, teilweise mit heftigem Gegenwind, für die Fusion Helmstedt-Wolfsburg, für weniger Schulden und für eine vielfältige Schullandschaft gestritten – weil ich davon überzeugt bin, dass die Region nur dadurch für junge Menschen attraktiv ist.
?Was können junge Politiker besser als ältere?
!Alter und Kompetenz stehen nicht zwingend in einem Zusammenhang. Man kann seiner Arbeit auch 40 Jahre falsch oder mit falscher Motivation nachgegangen sein. Wichtig ist vielmehr, dass man – ganz unabhängig vom Alter – eigene Interessen niemals über das Gemeinwohl stellt. Aber natürlich muss man als Politiker gewisse Spielregeln kennen. Auch ich habe Lehrgeld bezahlt und am Anfang in einigen Wortbeiträgen etwas hitzig reagiert. Aber junge Menschen heben ganz andere Themen auf die politische Agenda. Während für ältere Politiker vielleicht der Ausbau von Radwegen wichtig ist, hat für mich der Ausbau von Breitbandinternet Priorität. Wichtig ist, dass man beide Interessen am Ende nicht gegeneinander ausspielt.
?Welche Aufgaben in Ihrem politischen Alltag rauben am meisten Zeit?
!Leider die Bürokratie. Viele Menschen sehen häufig nur die Wahlplakate an den Straßenlaternen und den einen oder anderen Redeauftritt. Politik findet aber vor allem in abendlichen Sitzungsräumen, am heimischen Schreibtisch, in Telefonkonferenzen, bei Parteitagen an Wochenenden und in Zügen auf dem Weg zu Veranstaltungen statt, bei denen man dann auch liefern muss. Häufig kommen dabei Familie und Freunde viel zu kurz.
?Was sind Ihre ganz persönlichen politischen Ziele?
!Ich kann mir nur schwer ein unpolitisches Berufsleben vorstellen. Jeder Kreisliga-Fußballer träumt davon, auch einmal in der Bundesliga zu spielen. Ich möchte schlichtweg etwas bewegen. Und ich möchte nicht allein sein damit.
?Werden wir 2020 in der Politik noch über dieselben Themen diskutieren wie heute?
!Ich hoffe nicht. Wir verschlafen bereits heute die Digitalisierung. Während die Kinder auf dem Schulhof mit dem Smartphone stehen, herrscht im Klassenzimmer weiter die Kreidezeit. Wir haben kein Abo auf den Wohlstand. Im Jahr 2020 braucht Deutschland ein Einwanderungsgesetz, um dem Fachkräftemangel zu entgegnen – denn die Stabilisierung von Rente und Krankenversicherung wird die soziale Frage unserer Zeit. Meine Generation verbindet ein Lebensgefühl: Es ist egal, ob wir aus Deutschland, Italien oder Frankreich kommen, wir können in Europa überall reisen, studieren, arbeiten und leben. Egal ob Trump, Brexit oder Rechtspopulismus: Eine zentrale politische Aufgabe wird es deshalb sein, unser offenes Europa, das Sehnsuchtsort für viele junge Menschen in der Welt ist, gegenüber allen rückwärtsgewandten Pessimisten zu verteidigen.
?Studium, Ausbildung, Familienplanung – viele junge Menschen haben andere Dinge als Politik im Kopf. Wie wollen Sie Ihre Altersgenossen für eine stärkere Teilhabe begeistern?
!Egal ob Studienplätze, Ausbildungskosten oder Elternzeit – Politik setzt den Rahmen. Ich glaube, dass junge Menschen nur für mehr Teilhabe begeistert werden können, wenn Politik auch die Probleme unserer Generation anspricht. Egal ob das Verständnis für ein Bildungssystem, in dem nicht mehr Bremen und Hamburg, sondern Deutschland und China im Wettbewerb stehen, egal ob befristete Beschäftigungsverhältnisse, bezahlbarer Wohnraum oder Schutz der Privatsphäre im Internet – wenn sich Politik jungen Menschen zuwendet, wenden sich junge Menschen auch der Politik zu. Allerdings ist der klassische Wahlkampfstand eher ein Auslaufmodell – junge Menschen erreicht man nämlich weniger am Samstagmorgen um neun Uhr in der Fußgängerzone, sondern eher im Netz.
?Junge Menschen heute sind weltweit vernetzt, viel gereist oder absolvieren Praktika im Ausland. Interessieren sie sich eigentlich überhaupt noch dafür, was vor der eigenen Haustür – also im Landkreis Helmstedt – passiert?
!Im Alter zwischen 20 und 30 Jahren eher weniger. Aber insbesondere in der Phase nach der Ausbildung oder nach dem Studium fällt zumeist die Entscheidung, wo junge Menschen ihren Lebensmittelpunkt sehen oder eine Familie gründen wollen. Eine Stadt wie Helmstedt kann gegenüber Großstädten nur mit günstigem Wohnraum und attraktiven Rahmenbedingungen für Familien punkten. Dafür brauchen wir eine Neuaufstellung der Wirtschaftsförderung, eine gute Anbindung an Braunschweig und Wolfsburg, eine effizientere, aber dafür hochwertige Ausstattung unserer Schulen und schnelles Internet. Die Strukturen im Landkreis Helmstedt sind da meines Erachtens vielfach hinderlich. Teilweise halten Samtgemeinden mit 5000 Einwohnern eigene Verwaltungen vor, die im überregionalen Vergleich nicht konkurrenzfähig sind, hohe Kosten verursachen und nur einen geringen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit unserer Region leisten.
?Laut der jüngsten Shell-Studie steigt das Interesse der 15- bis 24-Jährigen an Politik tatsächlich wieder. Fast die Hälfte interessiert sich für das Weltgeschehen. Aber nur drei Prozent können sich vorstellen, Mitglied in einer Partei zu sein. Woher diese Diskrepanz?
!Ich glaube, dass viele Menschen nicht das Gefühl haben, dass politische Parteien noch wirklich große Veränderungen für ihr Leben bewirken können. Meine Überzeugung ist es aber, dass man fast nirgends so konkrete Veränderungen herbeiführen kann wie in Parteien. Jeder Antrag, jede Idee kann es in ein Wahlprogramm oder in einen Koalitionsvertrag schaffen. Allerdings haben die Parteistrukturen nicht mit der modernen Arbeitswelt mitgehalten. Während Auslandserfahrungen und Mobilität in der Wirtschaft als Qualifikation angesehen werden, sind diese Aspekte für eine politische Laufbahn eher hinderlich, weil man schlichtweg nicht präsent ist. Dieses System schreckt meine Generation – verständlicherweise – ab. Junge Menschen wollen einen inhaltlichen Mehrwert, wenn sie sich engagieren – ohne sich gleich langfristig parteipolitisch binden zu müssen. Parteien müssen deshalb auch projekt- und themenbezogene Möglichkeiten des Engagements bieten.
?Was verbinden Sie mit Helmstedt, was macht es besonders?
!Helmstedt ist Heimat. Jeder verbindet mit dem Ort, wo er aufgewachsen ist, etwas ganz Besonderes. Am meisten spürt man vielleicht den Zusammenhalt, wenn man am ersten Weihnachtstag mit ehemaligen Mitschülern am Papenberg im Number One auf die gemeinsame Zeit in Helmstedt schaut. Fast jeder kennt sich an diesem Abend. Während Wohn- und Arbeitsverhältnisse zunehmend anonymer werden, lernt man an solchen Abenden die Vertrautheit in Helmstedt besonders zu schätzen.
?Stellen Sie sich vor, Sie sind in Helmstedt und haben einen Tag frei? Was machen Sie?
!Nach einem späten Frühstück würde ich wahrscheinlich zum Lappwaldsee fahren. Auch wenn ich das touristische Potenzial des Landkreises Helmstedt etwas nüchterner beurteile als viele meiner Kolleginnen und Kollegen ist der Helmstedter Tagebau vor allem im Sommer eine Reise wert. Am Nachmittag würde ich am Ludgerihof im Pferdestall Helmstedt einige Freunde treffen. Dieses Stadtentwicklungsprojekt ist für mich eines der gelungensten der vergangenen Jahre. Zu einem guten Abend gehört für mich dann auch ausreichend Bier und Jägermeister in einer der Helmstedter Kneipen – vielleicht mit den alten Sportkameraden vom TSV Germania Helmstedt.
?Wer ist Ihr politisches Vorbild?
!Neben liberalen Vordenkern wie Gerhart Baum und Ralf Dahrendorf sind das sicherlich Gerhard Schröder und Barack Obama. Politik ist einer der Lebensbereiche, der sozialen Aufstieg unabhängig von der Herkunft möglich machen kann. Der Reformwille, der Mut auch einmal unpopuläre Entscheidungen zu treffen und die Aufstiegsbiographie beider Politiker haben mich sehr geprägt. Auch könnte sich die aktuelle Bundesregierung eine gehörige Scheibe von der Entschlossenheit abschneiden, die die Regierung Schmidt/Genscher angesichts des RAF-Terrors in den Siebzigerjahren gezeigt hat.