Von Andreas Stolz, 17.04.2018
Wolfsburg. Was wäre, wenn der Verfechter einer gerechteren Gesellschaft – der am 5. Mai 1818 geborene Karl Marx – für eine kurze Zeit auf die Erde zurückkehren dürfte? Der amerikanische Autor Howard Zinn hat dieses Gedankenspiel 1999 in seinem Stück „Marx in Soho“ literarisch weitergesponnen. Jetzt wurde sein Ein-Personen-Schauspiel bei den Autostadt-Movimentos-Festwochen vom Künstler Boris Aljinovic – in äußerst überzeugender, packender Manier – auf die Bühne gebracht.
Der Protagonist ist als Teil des früheren Berliner Tatort-Ermittlerduos Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Aljinovic) bekannt geworden. Der gebürtige Berliner ist, das dokumentierte er im Panorama-Kino der Autostadt, nicht nur „kameratauglich“, sondern zudem ein brillanter Live-Darsteller. Er vereinnahmt das Publikum bei seinen Bühnenauftritten mit einer Vielzahl an stimmlichen Variationen und exzellenten, die Dramaturgie und Dramatik potenzierenden körpersprachlich-gestischen Mitteln.
Aljinovic gab dem Philosoph Karl Marx, der bei seiner irdischen Stippvisite statt im Londoner Soho im gleichnamigen New Yorker Stadtteil landet, intensive, prägnante Gestalt und klare Konturen. Da stand ein enttäuschter Philosoph und Vordenker vor seinen Zuhörern, der es nicht fassen konnte und akzeptieren wollte, was die Nachfahren aus seiner Lehre gemacht hatten. Ein Karl Marx, der bekannte, kein Marxist zu sein. Und der mit Diktatoren wie Mao und Stalin abrechnete, die im Namen „seines Kommunismus“ die Freiheit und das Leben der anderen missachteten. Ein Gelehrter, der nicht nur auf sein einstiges Leben in London zurückblickte. Sondern ein Denker, der die Historie und das Heute verband. Einer, der der Generation der Gegenwart den sozialen Spiegel vorhielt und konstatierte: „Es gibt keine Visionen mehr.“
Aljinovic erzeugte durch seine große Präsenz und seine abwechslungsreiche Art des Vortragens beim Publikum eine immense Spannung. Die manifestierte sich in gebannter Stille über die gesamte Dauer der Vorstellung. Das Stück „Marx in Soho“ und sein Präsentator zwangen zum permanenten Mitdenken und animierten im Nachgang zum Weiterdenken. Der Beifall von Seiten der Zuhörer war groß, die 200 Gäste spendeten ihn – als Ausdruck der besonderen Anerkennung – im Stehen. Am Samstag, 21. April, um 18 Uhr, tritt Aljinovic mit dem Stück noch einmal auf.