20. Oktober 2015
Kulturelles

„Möchte der Herr einen Einzeltisch?“

Ausstellung „Jesus 2.0“ in der Jakob-Kemenate und weiteren Orten zeigt das Bild von Christus in der modernen Kunst.

Mit dieser Christusdarstellung verarbeitete Georges Grosz die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs. Seine Zeitgenossen reagierten entsetzt. Gegen Grosz wurde daraufhin der größte Gotteslästerung-Prozess der Weimarer Republik geführt. Fotos: Stiftung Prüsse/Christliche Kunst Wittenberg/T.A.

Von Birgit Leute, 21.10.2015.

Braunschweig. Höflich beugt sich der Kellner zu dem einsamen Gast hinunter. „Möchte der Herr nicht lieber einen Einzeltisch. Oder erwartet er noch jemanden?“. Ganz schön frech strickt Cartoonist Gerhard Glück die berühmte Abendmahlsszene von Leonardo da Vinci um. Er ist nur ein Beispiel dafür, wie die Künstler der Moderne die Figur Jesu neu interpretierten. Zu sehen ist der Cartoon und noch viele weitere sehr berühmte Werke derzeit in der Ausstellung „Jesus 2.0. Die Christusdarstellung im 20. und 21. Jahrhundert. Kunst – Kommerz – Karikatur“.

„Jahrhundertelang haben die Kirche und ihre Auftragsmaler dafür gesorgt, dass Jesus so etwas wie eine ’Marke‘ wurde“, sagt Kurator Jochen Prüsse von der Prüsse-Stiftung. Langes Haar, schmales Gesicht, Bart – praktisch jeder von uns hat ein Bild im Kopf. „Das ist umso erstaunlicher, weil es in der Bibel eigentlich gar keinen Hinweis darauf gibt, wie Jesus ausgesehen hat“, so Prüsse.
Erst die Künstler der Moderne räumten gründlich mit dem Image auf und verpassten Kirche und Staat nicht selten eine schallende Ohrfeige. Georges Grosz ist so ein Beispiel. Erschüttert von den Gräueln des Ersten Weltkrieges wendete er sich von der Kirche ab. In seiner Zeichnung „Jesus am Kreuz“ trägt Christus eine Gasmaske und Soldatenstiefel, eine weitere zeigt einen Geistlichen, der tote Soldaten segnet. Das Kreuz dahinter ist schon lange leer.
Otto Pankok greift mit seiner „Passion“ dagegen scharf die Nationalsozialisten an. Die 60 Darstellungen mit den Leiden Christi entstanden 1934: Deutlich trägt Jesus die Züge des Künstlers Karl Schwesig, der von den Nationalsozialisten verhaftet und gefoltert wurde. Von der SS wurde die Passion als Gotteslästerung 1936 gebrandmarkt.
„Mit der modernen Kunst ist die Christusdarstellung in der Wirklichkeit angekommen“, ordnet Jochen Prüsse ein. Jesus wird zur persönlichen Ansichtssache, zum Ausdruck der individuellen Interpretation. Diese Bandbreite möchte die Ausstellung zeigen, und so entdeckt der Betrachter neben kritischen und provokanten auch berührende Bilder wie das „Letzte Abendmahl“ von Elisabeth Engelbrecht, den fast träumerischen „Christus in der Pendeluhr“ von Marc Chagall oder den fast femininen Jesus von Ernst Fuchs, den dieser 2003 für die „Bild“-Zeitung malte, und der für die Kommerzialisierung von Christus für den Massenmarkt steht. Eine Führung ist angesichts der Vielfalt der Werke und der komplexen geschichtlichen Hintergründe empfehlenswert.

Info

• Die Ausstellung „Jesus 2.0“, organisiert von der Prüsse-Stiftung in Kooperation mit der Stiftung Christliche Kunst Wittenberg, ist bis zum 22. November in der Jakob-Kemenate, Kemenate Hagenbrücke, dem Bankhaus Löbbecke, dem Augustinum Braunschweig und der Stadthalle zu sehen.

• Rund um die Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm. Alle Informationen unter www.jakob-kemenate.de im Internet.

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