25. August 2015
Kulturelles

Punk ‘n‘ Roll unter der Zeitglocke

Extrabreit-Sänger Kai Havaii liest in der Vita-Mine aus seinem Buch „Hart wie Marmelade“.

Kai Havaii kommt am 4. September für eine Lesung nach Braunschweig. Foto: André Pause

Von André Pause, 26.08.2015.

Hamburg. Wir sind mit Kai Havaii in der Favorita-Bar im Stadtteil Hoheluft-West verabredet. Nachdem das diesjährige Sommerfest der IG Metall in Wolfsburg einer Sturmwarnung zum Opfer gefallen, und damit auch unser angedachtes Gespräch geplatzt war, schlug der Autor und Sänger der Band Extrabreit kurzerhand ein Treffen in Hamburg vor.

Das ausgesuchte Café ist von seiner Wohnung aus quasi um die Ecke. Einen Stoffbeutel für den Einkauf hat er sicherheitshalber auch schon dabei. „Bei uns im Haus ist heute Abend ein bisschen was los. Da wollte ich gleich noch einkaufen.“

Havaii ist ein kerniger Typ: Das raspelkurze Resthaar unter einer schwarzen Schlägermütze verborgen, Dreitagebart und Sonnenbrille im Gesicht. „Das ist die, die Steve McQueen in ‚Thomas Crown ist nicht zu fassen’ trägt. Ich bin überhaupt ein großer Steve-McQueen-Fan“, erzählt der 58-jährige Sänger, als er sie abnimmt und das Interesse des Gesprächspartners am Augenschutz-Objekt bemerkt.

Ähnlich turbulent wie im filmischen Werk des von ihm bewunderten US-Schauspielstars ging es bei Havaii, der bürgerlich Kai Schlasse heißt, im echten Leben zu. Bereits 2007 hat er die Zeit von 1977 bis Anfang der 90er-Jahre in seinem autobiografischen Roman „Hart wie Marmelade“ verschriftlicht. Aus diesem wird er am 4. September in der Vita-Mine in der Braunschweiger Karl-Marx-Straße (Beginn ist 19.30 Uhr) lesen. „Das Buch hat natürlich viel mit der Band zu tun, es schildert, wie alles begann, und dokumentiert dann auch die Achterbahnfahrt, die sich anschloss mit einigen Höhen und Tiefen“, bringt der Extrabreit-Frontmann die Sache auf eine sehr knappe, vielleicht zu knappe Formel. Der Zeit des großen Ruhms zur Hochzeit der Neuen Deutschen Welle (NDW) Anfang der 80er-Jahre folgte ein jäher Absturz, der für Havaii keine zehn Jahre später in der Heroinsucht und Beinahe-Obdachlosigkeit mündete.

Doch auch wenn die Band nie wieder an die Popularitätswerte der Jahre 1981 bis 1983 herankam: Sie kam zurück und mit ihr ihr charismatischer Sänger. Ein Duett mit der unvergessenen Hildegard Knef wurde zum Erfolg, „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ sorgte 1992 republikweit für Gänsehaut. Die letzte Studioplatte „Neues von Hiob“ ist vor sieben Jahren erschienen. Für die habe es gerade bei Konzerten sehr viel positives Feedback gegeben, betont Havaii.
Ist das NDW-Etikett rückblickend trotz allem ein Stigma? „Alle, die dabei waren, versuchen sich davon abzusetzen. Ausnahmslos. Das ist fast wie nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagt der Sänger lachend. Dabei hafte das negative Image vielen Acts von damals zu Unrecht an. Die Zeit an sich schildert er als eine kreative und äußerst aufregende. Das Problem aus seiner Sicht: „Der Hype hat den Leuten das Differenzierungsvermögen geraubt, und irgendwann ging ihnen der Hype halt auch auf die Nerven.“

Extrabreit haben, wenn man so will, trotzig reagiert, sind sich und ihrem durchaus politischen Punk ’n’ Roll treu geblieben, auch wenn sich die Musiklandschaft rundherum komplett verändert hat. „In den 80er-Jahren war es eine Sache, die musikalisch neu war, und dieses Punk-Wave-Inspirierte hat eine Menge Köpfe und Herzen aufgerissen, gerade bei jungen Leuten. Das Merkwürdige ist, dass, wenn wir auf der Bühne stehen, der Unterschied zu damals gar nicht so spürbar ist. Wir sind fast unter einer Art Zeitglocke, wo es eigentlich nur darum geht, unser Ding zu machen. Es wundert mich manchmal selber, dass man die alten Songs auf irgendeine Art und Weise wieder mit Leben füllen kann. Aber wir sehen, dass es geht, und sind alle ganz gut drauf. Das ist eine Riesensache, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Band 38 Jahre dabei ist.“

Derzeit schreibt Kai Havaii, der seit geraumer Zeit auch als Autor für TV-Doku-Formate und als Cartoonist arbeitet, an einem nicht autobiografischen Text, der zumindest vordergründig nichts mit Musik zu tun hat. Am 4. September freilich ruht der Schöpferdrang, dann geht es erst mal in die Vita-Mine zur Lesung.

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