Lamme. Das Flüchtlingsthema ist ein sensibles geworden, und das zeigt sich auch im Kleinen. Vorbehalte oder Willkommenskultur, Ablehnung oder Integration: Jeder hat oder bildet sich seine eigene Meinung dazu. Als die Stadt Braunschweig am Donnerstagnachmittag in Lamme einen weiteren Wohnstandort für geflüchtete Menschen vorstellt, machen die Bürgerinnen und Bürger von der Möglichkeit, die bezugsfertigen Wohnungen am Bruchstieg zu besichtigen, gern Gebrauch.
Weniger gern wollen sie darüber sprechen – zumindest nicht mit der Presse. Warum sind sie gekommen? Haben sie Fragen an die Verwaltung? Ängste oder Vorbehalte? Nur wenige der zahlreichen Interessierten sind bereit, Auskunft zu geben, die meisten winken gleich ab, drehen sich auf dem Absatz um.
Dabei sind viele gekommen, rund 200 Besucher werden an diesem Nachmittag gezählt. Familien mit Kindern spazieren vorbei, Ehepaare radeln heran, zahlreiche ältere Menschen haben sich mit Rollatoren auf den Weg gemacht. Alle sind interessiert, wollen die Unterkünfte und Gemeinschaftsräume besichtigen. Je eine der Wohneinheiten für jeweils zwei, vier oder sechs Personen ist zugänglich. Schnell füllen sich die Räume, werden Schlafzimmer, Bad und Küche begutachtet. Alles ist schlicht und zweckmäßig eingerichtet.
Ab Anfang Oktober werden in Lamme geflüchtete Paare, Familien und Einzelpersonen einziehen. Bis zum Ende des Jahres soll das Gebäude mit rund 80 Personen belegt sein, insgesamt bietet es Platz für 100 Menschen. Ein Sozialarbeiter, ein Hausmeister und eine Verwaltungskraft in Teilzeit kümmern sich um die Belange der Bewohner, außerhalb ihrer Dienstzeiten wird ein Sicherheitsdienst vor Ort sein.
Steffi Leinz wohnt mit ihrer Familie im Neubaugebiet Lammer Heide und ist mit Tochter Johanna und ihren Söhnen Niklas und Kelvin gekommen. „Ich möchte mir das mit ihnen ansehen, damit sie offen dafür sind“, erklärt sie. Und Niklas ergänzt: „Das muss man ganz ohne Vorbehalte betrachten“. Liza, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, studiert in Leipzig, stammt aber aus Lamme und ist häufig bei ihren Eltern zu Besuch. Sie ist mit konkreten Fragen gekommen, zum Beispiel, wie lange die Flüchtlinge hier wohnen sollen, und „ob sie sich selbst überlassen sind oder irgendwie beschäftigt werden“?
Ganz offen sind Tessa und Neila Burchardt: Ein Foto für die Zeitung? Das finden die 13-jährigen Zwillingsschwestern toll, Sie sind mit ihren Eltern da – der Spaziergang nach Muttis Geburtstagskaffee führt sie heute hierher. „Reines Interesse, ganz wertfrei“, betont der Vater. „Wir wollen mal sehen, wie es eingerichtet ist“, sagt Tessa und inspiziert die Schränke.
Auch das Ehepaar Mewes möchte sehen, wie die neuen Lammer Mitbürger wohnen werden, Wolfgang Baude ist aus reiner Neugier da „um zu gucken, wie meine neuen Nachbarn hier demnächst wohnen werden“.
Vor Ort informiert die Bürgerschaft Lamme über ihre Arbeit. In dem Verein hat sich eine Gruppe von Lammer Bürgerinnen und Bürgern zusammengefunden, die sich für alle Bewohner des Stadtteils engagieren möchte. Die Vereinsmitglieder haben sich neben vielen anderen Vorhaben vorgenommen, auch einen großen Beitrag für die Integration der neuen Bewohnerinnen und Bewohner zu leisten.
„Wir haben rund 30 Personen, die sich engagieren wollen“, so der 1. Vorsitzende Andreas Aplowski. Deutschunterricht, Begleitung bei Behördengängen und Arztterminen, Kinderbetreuung und die Organisation unterschiedlichster Veranstaltungen – man wolle zunächst den Bedarf ermitteln und dann die Arbeit aufnehmen.
Als ich mir zum Schluss den Gemeinschaftswaschraum anschaue, kommen zwei ältere Frauen dazu und werfen einen prüfenden Blick hinein. „Alles neue Miele-Geräte, nur das Beste vom Besten für die“, stellen sie fest.
Willkommenskultur und Vorbehalte, Ablehnung und Integration: Das Thema ist sensibel. Auch in Lamme.

