Der Besuch im Salon Meyer 5.0 ist eine äußerst haarige Angelegenheit. Das liegt beim Friseur natürlich in der Natur der Sache, aber hier geht es einmal nicht um die neue Frisur als Endergebnis, sondern um das, was bei deren Entstehung übrig bleibt und im wahrsten Sinne des Wortes „abfällt“: Unmengen von Haaren.
15 Kilogramm haben Salon-Inhaberin Heike Meyer-Köchy und ihre vier Mitarbeiterinnen seit Januar abgeschnitten und zusammengefegt. Aber sie haben sie nicht mehr wie früher einfach entsorgt, sondern gesammelt. „Was macht ihr denn damit? Kissen füllen?, haben uns unsere Kunden gefragt“, erzählt Meyer-Köchy schmunzelnd.
Mitnichten. Die Friseurin und ihr Team engagieren sich seit Jahresbeginn für die Organisation „hair helps the oceans“ und helfen mit den abgeschnittenen Haaren Meere, Seen und Flüsse zu reinigen.
Wie das? Haare besitzen die besondere Eigenschaft, viel Fett aufzusaugen, eine Funktion, die sie auch nach dem Schneiden nicht verlieren. Damit eignen sie sich in Gewässern hervorragend als natürliches Reinigungsmittel gegen Verschmutzungen wie Öl, Benzin und Sonnenmilchreste. Ein Kilogramm Haare kann bis zu acht Kilogramm Öl aus dem Wasser filtern. Dazu werden die Haare in Schläuche aus Gewebe gefüllt, und diese „Würste“ als Barriere auf die Wasseroberfläche gelegt.
Ursprünglich kommt die Idee, Ölverschmutzungen im Meer mit Hilfe von Haaren zu reinigen aus Südfrankreich, wo der Verein „Coiffeure Justes“ (faire Friseure) aktiv ist. In Deutschland haben 2022 ein Saloninhaber in Bückeburg und ein Unternehmensberater die Initiative ergriffen und „Hair helps the oceans“ gegründet. Eine Idee, die Schule macht und sich verbreitet. „Wir haben als Partnersalon bereits die laufende Nummer 1810“, berichtet Heike Meyer-Köchy.
Der Aufwand für das Team ist gering: Die abgeschnittenen Haare werden einfach in ein Loch gefegt – darunter hängt ein großer Papierbeutel. „Diesen Durchbruch zum Keller hat mein Vater schon vor 40 Jahren gemacht“, erzählt die Saloninhaberin. Jetzt müsse lediglich darauf geachtet werden, dass kein weiterer Müll mit hinein gefegt werde. 25 Euro zahlt der Salon pro Monat an die Organisation für die Logistik. „Für uns sind die Haare nur ein Abfallprodukt, aber wenn man damit noch etwas Gutes bewirken kann, bin ich gern bereit, das auszugeben“. Die Reaktion der Kunden auf die Aktion sei durchweg positiv, freut sich Meyer-Köchy. „Einige haben schon gesagt: Schade dass meine Haare nicht schneller wachsen“.
Sind genügend Haare zusammengekommen und transportfertig verpackt, genügt ein Anruf bei „Hair helps the oceans“ und das Paket wird zeitnah abgeholt. Die daraus entstehenden Haarfilter werden weltweit eingesetzt. In Seen und Gewässer, vor Industriegebieten und an Küsten, um Öle, Treibstoffreste und Sonnenmilch aus dem Wasser zu filtern. Im Sommer 2019 kamen sie auch vor Mauritius zum Einsatz, als dort ein Frachter auf Grund lief und mehrere Tausend Tonnen Öl verlor.
Nur eines „bedauert“ das Team von Meyer 5.0 etwas: „Hätten wir die Haare gesammelt, die wir direkt nach dem Corona-Lockdown abgeschnitten haben, hätten wir die Menge schon nach vier Wochen zusammen gehabt“.
Bei „Hair helps the oceans“ mitzumachen, diese Idee stammt von Mitarbeiterin Bianca Wollschläger. „Sie hat schon viele tolle Vorschläge gemacht, mit denen wir inzwischen sehr nachhaltig unterwegs sind. So waschen wir unseren Kunden die Haare nicht mehr generell zweimal, das ist auch gar nicht nötig. Dafür gönnen wir ihnen lieber eine ausgiebige Kopfmassage“, erklärt die Chefin und fügt hinzu, dass sie damit drei bis vier Kubikmeter Wasser pro Monat einspare. „Das hat mich selbst sehr überrascht“. Dass der Müll konsequent getrennt wird, versteht sich von selbst, die Handtücher trocknen energiebewusst auf einem Wäscheständer und die gesamte Beleuchtung ist auf LED umgestellt. Passt alles zum Motto „Meyer 5.0 goes green: Wir kleben nicht fürs Klima, wir schneiden für die Umwelt!“.
Bleibt zum Schluss noch die neugierige Reporterinnenfrage, warum der Salon eigentlich „Meyer 5.0“ heißt? „Weil ich die fünfte Generation Friseure in unserer Familie bin“, erklärt mir Heike Meyer-Köchy, die das Unternehmen vor fünf Jahren von ihrem Vater übernommen und so umbenannt hat. Ihr Ur-Ur-Opa habe als Friseur auch noch Zähne gezogen, berichtet sie und zeigt dabei auf die alten Zangen, die über dem Kassentresen an der Wand hängen. Oh je, dieser Anblick ist irgendwie: „Autsch!“.