10. Februar 2023
Buntes

„Schönes Beispiel für Integration“

Die Albanerin Xhemile Tahiraj führt die Lehndorfer Änderungsschneiderei weiter

Gelungene Integration: Xhemile Tahiraj übernimmt die Änderungsschneiderei in Lehndorf. Foto: Stefanie Druschke

Als Xhemile Tahiraj mir an diesem Morgen in Lehndorf die Tür öffnet und ihr Reich zeigt, strahlt sie stolz. Und sie ist ein bisschen aufgeregt, dass sich die NB für ihre Geschichte interessiert. Seit dem 1. Februar ist sie die neue Inhaberin der kleinen Änderungsschneiderei in der Ottweilerstraße 3 in Lehndorf.

1953 als „Mörser Drogerie“ eröffnet, wurde der Laden in den vergangenen 50 Jahren durchgängig als Änderungsschneiderei betrieben. Zunächst von einer Griechin, dann von einer Italienerin und jetzt also von einer Albanerin. „Das ist doch wirklich mal ein schönes Beispiel für gelungene Integration“, findet Sabine Rehfeld, die sich bei der Redaktion gemeldet hat.

Rehfeld und ihr Mann haben das Haus, zu dem das kleine Ladengeschäft gehört, gerade an Xhemile Tahiraj und ihre Familie verkauft. Bisher sei der Laden immer nur vermietet gewesen, doch nach dem Tod ihrer Schwiegermutter, die in dem Haus gelebt hatte, hätten sie alles komplett verkaufen wollen. Über Isabella Flotta kam der Kontakt mit Xhemile Tahiraj zustande. Die hatte nämlich schon oft signalisiert, dass sie die Änderungsschneiderei gern einmal übernehmen würde. Als Flotta den Mietvertrag kündigte, nahm die Idee von der Nachfolge Gestalt an. Allerdings gab es auf dem Weg dahin noch einige Steine aus dem Weg zu räumen. Doch „Frau Sabine“ habe alles geduldig abgewartet, erzählt Xhemile Tahiraj dankbar und gerührt. Immerhin habe es zwei Monate gedauert, bis mit der Finanzierung und der Bank alles geklärt war. Rehfeld sagt: „Ich wollte einfach gern, dass sie den Laden und das Haus übernehmen kann.“ Sicher habe es auch andere Interessenten gegeben, mit denen der Verkauf schneller über die Bühne gegangen wäre, „aber die hätten das alles hier vermutlich platt gemacht“.
1911 habe der Urgroßvater ihres Mannes das Haus in der Ottweilerstraße gebaut, erzählt Sabine Rehfeld. „Damals war hier noch nichts weiter, das stand ganz allein hier.“ Im Laufe der nächsten Monate will Xhemile Tahiraj hier mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern (10 und 13) einziehen. Der genaue Zeitpunkt ist noch ungewiss: „Handwerker“, sagt sie nur und zuckt mit den Schultern.

Mit der Änderungsschneiderei hat die neue Inhaberin neben dem Interieur auch den Kundenstamm ihrer Vorgängerin übernommen. Wie zur Bestätigung kommt Bernd Breitbach zur Tür herein. Xhemile Tahiraj weiß gleich Bescheid: „Die Jeansjacke, richtig?“ Sie holt sie, breitet sie aus und erklärt, welche Arbeiten sie ausgeführt hat. Breitbach freut sich, dass er das in die Jahre gekommene Lieblingsstück weiterhin tragen kann. Er werde weiterhin hierherkommen, sagt er.
„Ich will, dass die Kunden mit dem Ergebnis zufrieden und glücklich sind“, sagt die Schneiderin. Das sei ihr wichtig, auch wenn es mal etwas schwieriger sei und daher länger dauere. „Geld ist ja nicht alles.“

Herzlichkeit macht sprachliche Hänger wett

2008 folgte die 44-jährige ihrem Mann aus Albanien nach Deutschland, der war bereits 16 Jahre zuvor auf der Suche nach Arbeit mit seinem Bruder in die Region gekommen. Ihren ersten Deutschkurs hatte Xhemile Tahiraj noch in der Heimat belegt, einen zweiten absolvierte sie nach ihrer Ankunft in Wolfenbüttel, wo die Familie zu Beginn wohnte.
Wenn ihr mal ein Begriff fehlt, macht sie den sprachlichen Hänger mit Herzlichkeit wett und erzählt mit den Händen weiter. Zum Beispiel, als sie mir erklären will, wie ihre Mutter das Kissen hergestellt hat, das sie mir zeigt. Am Ende weiß ich, dass die Wolle dafür selbst gesponnen, mit roten Zwiebeln und anderen Pflanzen natürlich gefärbt und am heimischen Webstuhl verarbeitet wurde.

Handarbeiten, das sei in ihrer Familie immer selbstverständlich gewesen, erzählt sie und hält eine Schürze mit aufwändiger Lochstickerei hin. In ihrer Heimat sitzen die Frauen dabei zusammen, haben sich viel zu erzählen und nebenbei fliegen die Hände: Häkeln, Sticken, Stricken, Nähen…

„Schnittmuster kannte ich gar nicht“

Sie selbst hat in ihrer Heimat Abendkleider genäht, mit einem geschulten Auge für die Figur und etwaige Problemzonen der Trägerin – aber ohne Schnittmuster. „Das kannte ich gar nicht, bevor ich nach Deutschland kam“, sagt die Schneiderin. Hier hat sie auch die Erfahrung gemacht, dass deutsche Kundinnen viel kritischer sind: „Die sind ganz, ganz genau“, sagt sie. In den ersten Jahren hat Xhemile Tahiraj in einem Brautmodengeschäft ausgeholfen, danach für ein Modedesign-Studio im Magniviertel gearbeitet. Eine Tätigkeit, die sie beibehält, auch um ihren Schritt in die Selbstständigkeit abzusichern.
Ihre Änderungsschneiderei heißt übrigens „Lina’s“ – das sei der Spitzname ihrer Tochter, sagt Tahiraj. Hier kümmert sie sich nicht nur um Rocksäume, neue Reißverschlüsse und zu weite Hosen, sondern bietet auch Maschinenstickereien und Monogramme für individuelle Geschenke an. Und sie kann sich vorstellen, auch irgendwann wieder selbst Mode zu entwerfen und zu fertigen, erzählt sie.

Ein Notfall wird schnell behoben

In diesem Moment kommt Isabella Flotta in ihren ehemaligen Laden. Die Frauen begrüßen sich herzlich, sind per du. Sie müsse ganz schnell mal eine Hosennaht reparieren, sagt Flotta und setzt sich flugs an den Nähtisch in ihrem ehemaligen Laden. Die Italienerin, die ihren Ruhestand in ihrer Heimat verbringen will, hat nämlich bereits ihre Koffer gepackt und auch ihre Nähmaschine transportsicher verstaut. Was für ein Glück, dass es die Änderungsschneiderei weiterhin gibt …

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