13. Mai 2014
Politisches

Sechs Männer und ihre Sicht auf die Stadt

Die Braunschweiger Zeitung hatte die Oberbürgermeister-Kandidaten in der Wahren Liebe zur Diskussion gebeten.

Das Podium und Publikum gestern in der „Wahre Liebe“: Die sechs Oberbürgermeister-Kandidaten stellten sich den Fragen von BZ-Lokalchef Henning Noske. Foto: Florian Kleinschmidt / BestPixels.de

Von Ingeborg Obi-Preuß und Marion Korth, 14. Mai 2014.

Braunschweig. Die sechs Männer sind derzeit gefragt: Kurz vor der Oberbürgermeister-Wahl am 25. Mai reihen sich die Diskussionsrunden aneinander. Gestern stellten sich die Kandidaten den Fragen von BZ-Lokalchef Henning Noske in der Wahren Liebe.

Hennig Brandes (CDU), Ulrich Markurth (SPD), Holger Herlitschke (Bündnis 90/Die Grünen), Udo Sommerfeld (Die Linke), Dr. Wolfgang Büchs (Bibs) und Merten Herms (Piraten) treten am Sonntag (25. Mai) zur Wahl als Nachfolger von Dr. Gert Hoffmann an. Am vergangenen Donnerstag standen sie beim Paritätischen Frage und Antwort (wir berichteten), nun also in der Wahren Liebe, dem Lokal direkt am Eintrachtstadion.
Zwei Stunden waren angesetzt, in denen Henning Noske als Moderator die sechs Kandidaten flott und souverän zu verschiedenen Themenkomplexen befragte. Wohnungsbau (siehe hierzu den Artikel auf der Titelseite und auf Seite 3), Kitagebühren, Bäderkonzept und öffentlicher Personennahverkehr waren die Schwerpunkte. Zu lange Antworten bremste Noske geschickt aus, Zuschauerfragen wurden direkt beantwortet. Vermutlich dem Nachmittagstermin (15 bis 17 Uhr) geschuldet war die eher geringe Resonanz, es waren rund 30 Gäste gekommen. Die aber erlebten einen kurzweiligen, dichten und informativen Polit-Talk.

Hennig Brandes (CDU)

Wohnungsbau: Von Mietpreisbremsen oder sozialen Wohnraumförderprogrammen wie in Hannover, wo mit hohem Investitionsaufwand in vergleichsweise wenigen Wohnungen Mieten gering gehalten werden, hält Hennig Brandes nichts. Die Bau- und Wohnraumpolitik der vergangenen 13 Jahre hält er für erfolgreich. Dadurch, dass 6000 Wohneinheiten geschaffen werden konnten, sei Zuzug in Braunschweig erst wieder möglich geworden. Indem Planungsverfahren beschleunigt werden, möchte Brandes an diese Entwicklung anknüpfen. In Innenstadtlagen setzt er auf mehrgeschossigen Wohnungsbau.
Bäder: „Die Entscheidung für das Drei-Bäder-Konzept war richtig“, sagt Hennig Brandes. Mit dem Sportbad Heidberg, dem Bürgerbadepark und demnächst der Wasserwelt seien die unterschiedlichen Nutzergruppen berücksichtig. Wenn sich nun aber ein privater Investor findet, um ein weiteres Bad zu betreiben, dann freue er sich darüber.
Kita: Entscheidend ist für Brandes eine geschlossene Kette der Kinderbetreuung, die von der Krippe über Kindertagesstätte, Schulkindbetreuung bis zur Ganztagsschule führt. Danach stellt sich für ihn die Frage der Betreuungsqualität sowie die der Finanzierung. „An der Kita-Gebührenfreiheit möchte ich festhalten“, betont Brandes.
ÖPNV: Der Direktor des Zweckverbandes Großraum Braunschweig warnt vor nicht zu finanzierenden Großprojekten, um den Stadtbahnverkehr auszubauen. Es mache keinen Sinn, Schienen über Lehndorf nach Lamme zu legen. Großes Potenzial sieht Brandes hingegen im Fahrradverkehr, ein weiterer Ausbau der Fahrradwege sei sinnvoll, ebenso ein Bündel kleinerer Maßnahmen wie weitere E-Busse, E-Ticketing oder ein besserer Wetterschutz an den Haltestellen, um den ÖPNV attraktiver zu machen.

Ulrich Markurth (SPD)

Wohnungsbau: „Wir brauchen ein Bündnis für Wohnen“ ist sich der SPD-Spitzenkandidat sicher. Eine städtische Gesellschaft wie die Nibelungen könne da viel bewirken. Und auch die Genossenschaften müssten in die Pflicht genommen werden. „Das wird Millionen kosten, aber die sind auch vorhanden“, betonte er, unter anderem sollte die Rendite der Nibelungen dafür eingesetzt werden.
Bäder: „Wir wissen die Bedarfe einfach nicht genau“, räumt Markurth zum Thema Bäderversorgung ein. Vor dem Ratsbeschluss zur Wasserwelt 2007 seien Braunschweiger Familien nach ihren Wünschen gefragt worden, danach habe ein Spaßbad ganz oben gestanden. Heute aber gäbe es auch starke Nachfrage nach Reha- oder Bewegungsbecken. Auch der Schulsport müsse neu überprüft werden. Gerade erst sei ein Sportstättenentwicklungsplan in Angriff genommen worden, der genaue Blick müsste jetzt auf die Bäder gelegt werden. Schon jetzt würden rund 40 Prozent der vorhandenen Bahnen von den Schulen nicht in Anspruch genommen, „da fehlen offensichtlich die Lehrer und es gibt organisatorische Schwierigkeiten“, vermutet Markurth. Sicher sei bereits, dass mehrere Sporthallen zusätzlich benötigt würden.
Kita: „Wir haben mit die höchsten Krippengebühren, dann zwei Jahre beitragsfrei und dann wieder hohe Beiträge für die Schulkindbetreuung – das will ich ändern.“ Er möchte die Eltern befragen, ob sie bereit sind, für eine dritte Kraft in der Kita auch wieder Gebühren zu zahlen.
ÖPNV: Ausbau der Fahrradwege, vor allem auch für E-Bikes („ein ganz großes Zukunftsthema), westliche Innenstadtumfahrung umsetzen und den Nordwesten der Stadt schienengebunden versorgen. Dreistellige Millionenbeträge würden dafür nötig sein, „da müssten Land und Bund mit ins Boot.“

Holger Herlitschke (Bündnis 90/Die Grünen)

Wohnungsbau: Zwar seien in den vergangenen Jahren viele Wohnungen und Häuser entstanden, „aber das war vor allem hochpreisiger Wohnraum“, sagt Holger Herlitschke. Von einer erfolgreichen Wohnpolitik, wie die CDU sie nennt, könne deshalb keine Rede sein. Aktuell habe die Stadt keine Belegrechte mehr, und die Landesprogramme zum sozialen Wohnungsbau funktionieren nicht, weil Kredite ohnehin zinsgünstig sind. Ein mit jährlich 1,5 Millionen Euro ausgestattetes kommunales Wohnbauprogramm über die nächsten drei bis fünf Jahre soll die Situation entschärfen.
Bäder: Die Grünen enthielten sich bei der Abstimmung über das Drei-Bäder-Konzept. Nicht, weil sie das Konzept generell abgelehnt hätten, sondern weil die vorhandenen Bäder schlecht verteilt sind. „Wir brauchen im Westen und Osten der Stadt je ein Bad, sonst werden die Wege zu lang“, argumentiert Herlitschke. Dies aber gehe zulasten des Schulschwimmens. Die Wilhelm-Bracke-Gesamtschule im Westen wäre ein guter Standort für noch ein Bad.
Kita: „Die Kosten für die Kinderbetreuung sind in Braunschweig insgesamt zu hoch“, sagt Holger Herlitschke. Um eine gerechtere Kostenverteilung zu gewährleisten, könnte er sich vorstellen, im unteren Einkommensbereich ein paar mehr Gebührenstufen zu streichen und im oberen Bereich anzufügen.
ÖPNV: Im standardisierten Kosten-Nutzen-Vergleich habe die Stadtbahn sehr wohl eine Chance. Herlitschke: „Es ist zu früh für Bedenken.“ So könnten Bahnen auch auf in der Straße eingepflasterten Schienen fahren. Das sei viel billiger, als einen eigenen Gleiskörper zu bauen. Den Verzicht auf eine westliche Stadtbahn-Umfahrung bezeichnete er als Fehler. Die Staus auf Bohlweg oder Ring zeigen die Grenzen des Autoverkehrs auf.

Udo Sommerfeld (Die Linke)

Wohnungsbau: Beim BZ-Leserforum vor der Oberbürgermeisterwahl kam Udo Sommerfeld beim Thema Wohnungsbau nicht zu Wort, eine Meinung aber hat er natürlich, will stärker mit den Wohnungsbauunternehmen zusammenarbeiten, einen Kooperationsvertrag über das Vorhalten von preiswertem Wohnraum abschließen. Außerdem soll die Stadt stärker von ihrem Planungsrecht Gebrauch machen, so dass gewährleistet ist, dass immer auch ein Anteil Mietwohnungen und nicht nur Stadtvillen gebaut werden.
Bäder: „Die Millionen für das Spaßbad hätten wir gern für die Sanierung der vorhandenen Bäder sowie den Bau eines Bades im Westen ausgegeben“, sagt Udo Sommerfeld. Wohnortnah ein Schwimmbad zur Verfügung zu haben, auch für den Schwimmunterricht der Schulen, sei wünschenswert. Nach Eröffnung der Wasserwelt, die nicht mehr zu verhindern ist, müsse sich zeigen, ob noch weitere Bäder zur Ergänzung nötig seien.
Kita: Das uneingeschränkte „Ja“ zur Gebührenfreiheit in Kitas verbindet die Linke ausnahmsweise mit der CDU. Sommerfeld: „Der Kindergarten ist für uns eine Bildungseinrichtung, und der Zugang zu Bildung muss kostenfrei sein.“ Die Abwägung Beitragsfreiheit kontra Betreuungsqualität ist für ihn keine Option. Eine dritte Kraft je Gruppe würde die Stadt jährlich zusätzlich zehn Millionen Euro kosten, vor allem aber gebe es das benötigte Fachpersonal derzeit nicht.
ÖPNV: Sommerfeld ist uneingeschränkter Befürworter des Stadtbahnausbaukonzeptes. „Ein zukunftsweisendes Projekt“, wie er bei anderer Gelegenheit sagte. Die westliche Innenstadtumfahrung sowie eine Schienenanbindung von Lehndorf und Lamme hält er für eine gute Sache. Letztere stünde an erster Stelle, wenn es mit dem Ausbau weitergehen sollte.

Dr. Wolfgang Büchs (Bibs)

Wohnungsbau: „Jetzt muss die öffentliche Hand bauen“, fordert Dr. Wolfgang Büchs von der Bibs. Die Zinsen aus der Rendite der Nibelungen Wohnbaugesellschaft sollten konsequent in den sozialen Wohnungsbau investiert werden. Auch die genossenschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften wie die BBG oder die Wiederaufbau müssten „auf ihre Pflichten zurückgeführt werden.“ Es sei ein Unding, dass von Genossenschaften an der Ferdinandbrücke Wohnungen für einen Verkaufspreis von 500 000 Euro gebaut wurden. 3000 Wohnungen müssten umgehend gebaut werden, die Stadt habe die Planungshoheit und sollte verlangen, dass bei jedem Bebauungsplan 30 Prozent der Wohnungen zu einem Mietpreis von unter 5, 40 pro Quadratmeter gebaut werden.
Bäder: „Die Wasserwelt kostet immer mehr, das ist Geld, das uns woanders fehlt“, beklagt Büchs. Und wir bezweifeln, dass mit der Wasserwelt die Bedarfe erfüllt werden können. Gliesmarode und Nordbad müssten erhalten bleiben. „Die Menschen wollen diese kleinen Bäder“, sagt Büchs.
Kita: In Krippe, Hort, Kindergarten und Schule müsste die Qualität dringend gesteigert werden, das sei wichtiger als eine punktuelle Gebührenbefreiung.
ÖPNV: „Sofortmaßnahmen gegen den drohenden Verkehrsinfarkt in der Nordstadt als Folge des Flughafenausbaus und damit verbundener neuer Gewerbegebiete (Bienroder Spange, Kralenriede Ost). Wir fordern: Tunnellösung Grasseler Strasse, damit Verkehr auch über Querum abfließen kann; Verzicht auf die geplante Umleitung von Zügen durch die Nordstadt; endlich Schranken am Bahnübergang Steinriedendamm/Forststrasse; sichere, von der Fahrbahn abgetrennte Radwege; keine Nordtangente (Querverbindung Hamburger Straße zur Bevenroder Straße); kein achtspuriger Ausbau der Autobahn 2.

Merten Herms (Die Piratenpartei)

Wohnungsbau: Merten Herms (Die Piratenpartei) sieht im Bereich des Wohnungsbaus dringend kommunalen Handlungsbedarf. „Wir müssen bezahlbaren und barrierefreien Wohnraum schaffen“, sagt er. Um das zu verwirklichen, sei es notwendig, eine Strategie zu erarbeiten, um die Entwicklung langfristig zu steuern. Kurzfristig müsse die Stadt Belegrechte kaufen oder auch koordinierende Unterstützung bei der Wohnraumsuche zum Beispiel für Wohngemeinschaften anbieten.
Kita: Den Ratsbeschluss, die Kita-Gebühren auszusetzen, findet Merten Herms gut. „Und ich bin dafür, dass es kostenlos bleibt.“ Beim Thema Kinderbetreuung ist er dennoch nicht ganz wunschlos. Statt nur über Quoten und deren Erfüllung zu reden, müsse auch die Verteilung der Kita-Plätze im Auge behalten werden. Herms: „Wir haben die Plätze nicht dort, wo wir sie brauchen.“
ÖPNV: Nicht gestern, aber bei anderer Gelegenheit hat Merten Herms gesagt, dass für ihn der ÖPNV durchaus Vorfahrt hat. Er wünscht sich „einen gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr – nicht nur im Zentrum, sondern auch in der Peripherie“.

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