Westliches Ringgebiet. Heiko und Astrid Hilmer wollen keine Jäger und Sammler mehr sein: Schluss mit dem fünften Küchenquirl, dem ultimativen Knoblauchschäler. „Das brauchen wir doch alles nicht“, sagt Astrid.
Das Paar aus dem westlichen Ringgebiet will sich auf das Wesentliche reduzieren – und hat Menschen gefunden, die ähnlich denken. Ihr Plan: Eine Siedlung von Tiny Houses irgendwo in Braunschweig. Wie steht es mit dem Traum von der Freiheit?
Berlin, Hannover, Tempelhof in Baden-Württemberg – Tiny Häuser sind angesagt. Worin liegt der Reiz von einem Leben auf 30 Quadratmetern. Von Häusern, die gerade einmal einen Raum zum Wohnen, allenfalls noch einen Hochboden zum Schlafen bieten?
Astrid Hilmer: Darin, dass man sich nur mit Dingen umgibt, die man wirklich braucht und mag. Mir gefiel diese Idee, denn vieles, was wir besitzen, ist eigentlich überflüssig und belastet uns eher – auch wenn die Werbung uns ständig suggeriert, dass wir es unbedingt zu unserem Glück brauchen.
Heiko Hilmer: Ich verstehe Tiny Häuser als eine Gegenbewegung zum ewigen Wachstum. Der Ausstieg aus dem aktuellen System, wenn Sie so wollen: Statt auf Konsum, wird auf Nachhaltigkeit gesetzt: Wer weniger hat, spart Energie und Rohstoffe und gewinnt dadurch etwas sehr Kostbares: Zeit.
Was heißt das konkret?
Heiko Hillmer: Um eine Familie, die Miete, das Auto und Konsumartikel zu finanzieren, müssen Sie zwangsläufig einen gut bezahlten Vollzeitjob haben. Für sich und andere bleibt nicht mehr viel Zeit. Wer sich allerdings bewusst verkleinert, braucht weniger Mittel und hat plötzlich wieder mehr Spielraum für andere Dinge.
In den USA sind Häuser, die man einfach huckepack von A nach B mitnehmen kann, eine ganz normale Sache. In Deutschland gibt es schnell Grenzen durch das Straßen- und Baurecht …
Heiko Hilmer: Stimmt. Wichtig ist, sich vorab zu informieren, was wir aber auch tun. Es gibt dennoch auch hier Vorreiter: Denken Sie an den Wagenplatz im nördlichen Ringgebiet.
Sie möchten in Braunschweig eine eigene Tiny-House- Siedlung gründen. Wie soll das konkret ablaufen?
Heiko Hilmer: In der Regionalen Energie- und Klimaschutz-Agentur reka wurde eine Projektgruppe gegründet, die nach einem geeigneten Grundstück sucht. Diese Gruppe erarbeitet auch die Finanzierung, das Energiemanagement und die Bauweise der Tiny Houses. Parallel dazu informieren wir Interessenten, die sich der Gemeinschaft anschießen möchten, über das Konzept. Geplant sind bislang rund 40 Tiny Houses für 40 bis 80 Personen.
Wer kann sich anschließen?
Astrid Hilmer: Alle, die die Werte der Gruppe mittragen. Unser Wunsch ist ein generationsübergreifendes Wohnen, in dem sich die Mitglieder gegenseitig unterstützen und Alltagsgegenstände wie Waschmaschinen oder Autos teilen, um Ressourcen zu schonen. Langfristig wollen wir auch Arbeitsplätze im Quartier schaffen: Wir werden Menschen brauchen, die den Sharing-Bereich verwalten, Reparaturen anbieten.
Leben in der Kommune – das hat es in den 70er Jahren schon einmal gegeben. Statistisch gesehen werden aber heute in den Großstädten mehr als 50 Prozent der Haushalte von Singles bewohnt. Hat sich Ihre Idee nicht schon überholt?
Astrid Hilmer: Nein, in unseren Augen nicht. Gemeinschaftsprojekte sind stabil, wenn sie eine gewisse Größe haben. Und wir erfahren täglich, dass die Menschen mit dem Trend zur Vereinzelung nicht glücklich sind. Es gibt den Wunsch nach mehr Gemeinsamkeit. Die Idee der Tiny House-Siedlungen – die Kombination aus Gemeinschaft und individueller Rückzugsmöglichkeit – spricht viele Menschen an.
Wie reagiert die Stadt auf Ihre Pläne?
Astrid Hilmer: Sehr aufgeschlossen. Sie hat uns Unterstützung bei der Suche nach einem Grundstück zugesichert.
Und gibt es schon etwas Konkretes?
Astrid Hilmer: Nein. Wir haben mehrere Grundstücke begutachtet, doch bislang war das passende noch nicht darunter. Wir könnten uns sehr gut eine Ansiedlung auf dem Campus Nord vorstellen. Unser Projekt könnte zum Beispiel wissenschaftlich und interdisziplinär begleitet werden. Wir sind da völlig offen und flexibel.
Was wird denn ein solches Tiny House in der Siedlung kosten?
Heiko Hilmer: Ein Tiny House ist ab etwa 20 000 Euro zu haben. Dazu kommen noch für jeden Bewohner anteilig die Kosten für das Grundstück, die Planung und die Gemeinschaftseinrichtung. Alles in allem ist es nicht viel, wenn man bedenkt, wie hoch aktuell die Mieten und Grundstückspreise sind.
Service
• Heiko und Astrid Hilmer gehören zum Leitungsteam der Regionalen Energie- und Klimaschutzagentur e.V., kurz reka, mit Sitz in der Frankfurter Straße 226.
• Unter deren Dach wurde 2019 das Projektentwicklungsunternehmen „wandel.SCHMIEDE“ gegründet, das unter anderem die Realisierung des Tiny Houses Wohnparks über Crowd-Invest finanziert.
• Informationen im Internet unter www.r-eka.de. Sobald die Corona-Beschränkungen aufgehoben sind, werden dort auch wieder Termine für Info-Gespräche veröffentlicht.