3. Juli 2023
Allgemein

Vom Schweinefilet zur Sojafrikadelle

Eine Familie sattelt um

Heiko, Mitja und Astrid Hilmer beim gemeinsamen Kochen. Auf dem Speiseplan stehen mittlerweile hauptsächlich regionale und vegetarische Produkte. Foto: Birgit Wiefel

In der NB-Serie „Nachhaltiger leben? Probier’s mal!“, die in Kooperation mit der Braunschweigischen Landessparkasse entstand, stellen wir ganz normale Menschen vor, die in ihrem Alltag etwas für den Klimaschutz tun wollen. In dieser Folge berichtet Familie Hilmer darüber, wie sie ihre Ernährung umgestellt hat.

Öl statt Ei, Sellerieschnitzel statt Fischstäbchen, Tofufrikadelle statt Fleischwurst: Die Küche der Familie Hilmer ist vor einigen Jahren zu einem Versuchslabor mutiert. Nicht von jetzt auf gleich, sondern peu à peu. „Wir probieren vieles aus, schauen was geht und was uns schmeckt“, beschreibt Astrid Hilmer die Lage zwischen Herd und Esstisch lachend. An diesem Abend klingt es, als ob eine Kolonie Biber zu Besuch ist: Die ganze Familie raspelt im Akkord Karottensalat mit Äpfeln, später wird Mutter Astrid noch Fischstäbchen und panierte Sellerie-Stäbchen ausbacken.
Dass sie, Ehemann Heiko und die drei Kinder mehr und mehr zu Vegetariern und Veganern wurden, war nie geplant. Grund
war vielmehr die hartnäckige Neurodermitis von Tochter Lenja. Bald nach der Geburt litt die heute 17-Jährige an Juckreiz,
Entzündungen und Allergien und niemand wusste anfangs, warum. Bis klar wurde: Es liegt an bestimmten Lebensmitteln.
„Wir mussten ihre komplette Ernährung umstellen“, berichtet ihre Mutter. Ei, Milch, Gluten und Nüsse waren fortan tabu. Und weil Astrid Hilmer ihrer Tochter beiseite stehen wollte, machte sie die Diät kurzerhand mit. „Ich habe in dieser Zeit
viel selbst gekocht und gebacken“, berichtet Astrid Hilmer von einem komplizierten Alltag.

Woher kommt das Essen?

Seit dieser Zeit machen sich die Hilmers viele Gedanken über das Essen: woher es stammt, wie es produziert wird, welche
Inhaltsstoffe in ihm stecken. Auch Fleisch wird ein Thema. Wie werden die Tiere gehalten? Was bekommen sie zu fressen?
Sind die Wege zwischen Weide und Schlachtung kurz oder lang? „Regional und Bio war uns immer wichtig“, sagt Heiko
Hilmer, ein Projekt in Neuerkerode schien deshalb perfekt. „Ein geschlachtetes Schwein wurde dort immer im Ganzen
verwertet“, erzählt er. „Toll“, dachte sich die Familie, bestellte ein Kilo Schweinefilet und – erntete ein Kopfschütteln.
„Und was bleibt dann für die anderen?“, kam es erstaunt. Lektion gelernt. „Wir fingen an, uns Gedanken zu machen,
wie verschwenderisch eigentlich Fleisch konsumiert wird“, sagt Heiko Hilmer, denn wenn es immer nur das beste Stück sein
soll, was wird dann aus dem Rest? Tochter Lenja verzichtete deshalb immer öfte auf tierische Produkte, lebt inzwischen
konsequent vegan, Bruder Mitja zog mit. Auf dem Teller des Neunjährigen landet allenfalls noch Fisch, ansonsten viel Gemüse und vor allem: Käse. Astrid Hilmer stellt Frischkäse mittlerweile selbst aus Naturjoghurt, Salz und Sahne her. Viele
Ideen haben sich die Hilmers aus dem Netz geholt und ein ganzes Repertoire an fleischlosen Rezepten gesammelt.
Manches schmeckte auf Anhieb, manches war gewöhnungsbedürftig. „Um das Ei in Pfannkuchen zu ersetzen, nahmen wir
zum Beispiel Apfelbrei, aber mir ist das nicht fluffig genug“, sagt Heiko Hilmer. Überhaupt sind „vegetarisch“ und „vegan“
keine eisernen Gesetze. Wenn es mal eine Currywurst wird, sei das auch okay. „Und selbst die gibt es inzwischen vegan.“
Zu viel Plastik

Viel größere Bauchschmerzen als solche „Ausreißer“ bereitet dem 54-Jährigen die Tatsache, dass viele vegetarische Produkte
auch nicht besser verpackt sind als das fleischliche Pendent. „Ob Aufschnitt oder Frikadellen, alles kommt in Bechern
und Folien daher“, ärgert sich Heiko Hilmer. Das Problem: Für eine Familie, in der beide Elternteile berufstätig und auch privat sehr engagiert sind, bliebt manchmal nichts anderes übrig, als zu den praktischen Convenience-Produkten zu greifen. „Wir würden gerne auf dem Markt einkaufen oder im eigenen Garten anbauen, aber dazu fehlt uns einfach die Zeit.“ Astrid Hilmer zuckt mit den Schultern. Trotzdem versucht sie beim Einkauf auf Regionalität zu achten und den eigenen CO2-Fußabdruck möglichst klein zu halten. Grundnahrungsmittel bestellt sie zum Beispiel online im Grünen Lädchen im Madamenweg, das sich auf vegetarische Bioprodukte hiesiger Produzenten spezialisiert hat und einmal in der Woche seine Kunden beliefert.

Problem Reste

Und dann ist da noch das Thema Reste. Ein halbes Glas hier, eine angefangene Packung dort – bei einer normalen Familie fällt einiges an. Doch in Zeiten der Klimakrise, Lebensmittel einfach wegzuschmeißen, ist für die Hilmers ein No-Go.
Ihre Lösung: Sie haben den Kühlschrank neu organisiert. „Meist wandern die Reste ja immer weiter nach hinten und geraten
in Vergessenheit“, sagt Heiko Hilmer.
Bei der Familie werden übrig gebliebene Lebensmittel in Schraubgläser gepackt, „dann sehen wir gleich, was drin ist“.
Mittlerweile sind Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu einem Lebensinhalt für die Hilmers geworden. Sie haben den Verein
reka gegründet, eine regionale Energie- und Klimaschutzagentur, und wurden 2019 dafür mit dem Klimaschutzpreis der
Stadt Braunschweig ausgezeichnet.

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