Von Ingeborg Obi-Preuß, 29.07.2015.
Braunschweig. „Wir hören uns zu und arbeiten gut zusammen“, sagt Dietmar Schilff, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen. Nach zweieinhalb Jahren stellt er der Landesregierung unter Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ein gutes Zeugnis aus.
Aber – es gibt Zusatzaufgaben und Entwicklungen, die die Belastungen nach Ansicht der GdP deutlich erhöhen: „Die Flüchtlingssituation, die Verschärfung des Gesetzes zur häuslichen Gewalt und die Bekämpfung der Kinderpornografie“, zählt Schilff drei wesentliche Komplexe auf.
„Ein Kollege beispielsweise hat uns intern geschrieben, wie belastend es für ihn ist, wenn er eine Flüchtlingsfamilie vom Bahnhof in Hannover abholt und zur Erstaufnahme auf die Polizeiwache bringt“, erzählt Schilff. Schlechte Erfahrungen mit Uniformierten in den Herkunftsländern führten zu einer großen Furcht, „die Kinder weinen häufig, die Kollegen sehen Folterspuren und Schusswunden.“
Dazu komme, dass die Polizeiwachen nicht ausgestattet seien für diese Aufgaben. „Da kaufen die Kollegen Getränke und Brötchen, damit die Flüchtlinge überhaupt versorgt werden“, erzählt Schilff.
Er hoffe jetzt auf mehr Unterstützung für die Kommunen durch den Bund zur Bewältigung dieser Aufgabe. „Denn eines ist klar“, sagt Schilff, „es werden noch viel mehr Menschen kommen, „jeder von uns würde schließlich auch gehen.“
Die zweite Veränderung, die die Arbeit der Polizei verschärfe, sei die Weiterentwicklung des Gewaltschutzgesetzes. „Das bedeutet, die Polizei muss bei häuslicher Gewalt nachhaltig handeln, sie muss dafür Sorge tragen, dass sich die Oper – meist Frauen und Kinder – auf Dauer wieder sicher fühlen können.“ Das sei ganz im Sinn der Polizei, aber – „dafür braucht es mehr Personal.“
Ein dritter Aspekt ist das Thema Kinderpornografie. „Sehr belastend für die Beamten, die an Suchcomputern und mit Scheininteresse versuchen, die Kinderschänder aufzuspüren“, erzählt Schilff. Aber ohne Vorratsspeicherung sei das nicht zu schaffen. „Es gibt verzweigte Organisationen, die Kinder aufkaufen und für pornografische Zwecke weitergeben“, erzählt er von einer grauenhaften Realität.
Die Landesregierung sehe die Problematik der Polizei, müsse allerdings verstärkt auf die Kosten achten. Jetzt sei eine Strukturdiskussion nötig. „Strategie-Projekt 2020“ heißt das Projekt, mit dem Innenminister Boris Pistorius gemeinsam mit den Personalräten der Polizei Weichen für die Zukunft stellen will.
„Denn klar ist, Lösungen kosten Geld“, sagt Schilff, „und das Land hat 60 Milliarden Schulden.“
Erschwerend komme hinzu, dass eine verfassungsmäßig verankerte Schuldenbremse die Handlungsfreiheit des Landes stark einschränke.
„Deshalb brauchen wir eine Strukturdiskussion“, erklärt Schilff, „wir müssen klären, was ist uns wichtig, was kann weg?“ Weg könne beispielsweise der Blitzmarathon, der sei zwar medienwirksam, bringe aber nichts und binde sehr viel Personal.
„Bis 2020 gehen rund 6000 Kollegen in den Ruhestand“, blickt Schilff in die Zukunft, „wir müssten umgehend rund 1000 neue Polizisten einstellen.“ Ein Krankheitsstand von neun Prozent – der Durchschnitt liegt bei vier Prozent – sei ein deutlicher Hinweis auf die andauernde Überbelastung der Kollegen. „Wir sind zu wenig, das Durchschnittsalter ist zu hoch, durch die Unterbesetzung gibt es kaum noch Freizeitausgleich“, erklärt Schilff.
Auch die Liegenschaften der Polizei seien häufig baufällig und damit ein Thema, das in die Zukunftsplanung gehöre. „Und dann müssen wir gemeinsam entscheiden, wie viel Polizei wir brauchen – wo und in welcher Stärke“, erklärt Schilff. Wenn immer mehr Dienststellen auf dem Land geschlossen würden, sei das eine fatale Entwicklung.