28. Januar 2023
Buntes

„Work-Life-Balance spielt große Rolle“

Prof. Simone Kauffeld über neue Arbeitsformen und den Wunsch nach Freiraum

Prof. Dr. Simone Kauffeld, TU Braunschweig Foto: TU

Die Arbeitswelt ändert sich gerade rasant. Regelungen, die vor 40 Jahren noch undenkbar gewesen wären, gehören heute zum Arbeitsalltag. Wir haben uns mit Professorin Simone Kauffeld von der TU Braunschweig unterhalten. Seit 2007 hat sie den Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie inne und forscht zu Veränderungen in der Arbeitswelt.

Frau Prof. Kauffeld, müssen Firmen Bürohunde, Snoezelen-Räume oder „Yoga at work“ inzwischen im Programm haben, um beim Rennen um Nachwuchs die Nase vorn zu haben?

Nun, sicher ist, dass solche „Add-ons“ bzw. das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse immer wichtiger werden, um Fachkräfte zu gewinnen. Wir haben einen Arbeitsnehmermarkt: Bewerbende können heute ihre Bedürfnisse wesentlich deutlicher formulieren als noch vor 20 Jahren, und sie können die Firma auswählen, die am besten zu ihnen passt und bei der sich Privatleben und Arbeit für sie am besten miteinander vereinbaren lassen. Das muss nicht unbedingt ein großer Konzern mit einer riesigen Bandbreite von Angeboten ein. Wichtiger sind oft individuell ausgehandelte Arrangements, wir nennen das auch „idiosynkratische Deals“. Das kann der Hund sein, der mit ins Büro genommen werden soll oder es kann das Anliegen sein, im Winter, wenn Schnee im Harz liegt, spontan Skilaufen gehen zu können, statt morgens zur Arbeit zu kommen, wie mir ein Unternehmer aus einem Bewerbungsgespräch berichtete. Das kann in mittelständischen Unternehmen manchmal einfacher umzusetzen sein als bei Global Playern.

Hat die Corona-Pandemie das Aufbrechen von traditionellen Arbeitsstrukturen begünstigt? Stehen Firmen also heute neuen Arbeitsformen offener gegenüber als vor 2020?

Ja. Mobil zu arbeiten oder von zu Hause zu arbeiten, gehört inzwischen für viele zum Alltag. Genauso wie die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Das hat für die Arbeitnehmer viele Vorteile gebracht, wie den Wegfall von Pendelzeit oder die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Einige Organisationen fragen sich, wie man es schafft, dass die Mitarbeitenden wieder gerne ins Büro kommen. Aktuell tüfteln die Unternehmen deshalb daran, wie sich eine gute Mischung zwischen Büro-Tagen und Home-Office-Tagen organisieren lässt, damit Teams in der Organisation funktionieren.

Momente der Entspannung scheinen im Arbeitsleben immer wichtiger zu werden. Um es mal platt zu sagen: Vor 40 Jahren haben die Menschen auch Vollzeit gearbeitet, ohne ein Kuscheltier zu brauchen. Was passiert da gerade?

Die Arbeit hat sich in den letzten Jahrzehnten unglaublich verdichtet, praktisch alles ist auf Effizienz getrimmt. Schickte man früher Anfragen per Post, konnten Tage oder Wochen vergehen, bis eine Antwort kam. Durch die modernen Kommunikationsmedien ist es mittlerweile eine Sache von Minuten oder Stunden, bis ein Vorgang wieder zurück auf dem Schreibtisch ist. Und dieser Druck setzt sich zu Hause fort. Beruf und Familienleben müssen unter einen Hut gebracht werden. Eltern gehen heute oft beide einer Erwerbsarbeit nach, der Anteil Alleinerziehender steigt beständig. Dazu gibt es die Tendenz zur Perfektion, jeder Kindergeburtstag ist heute ein Event, das aufwendig geplant und gestaltet werden muss. Als „arbeitende/r Kunde/in“ scannen wir heute unsere Einkaufsartikel selbstverständlich selbst ein, füllen Anträge, Formulare oder Überweisungen auch selbst online aus und hängen in Hotlines in Dauerschleifen. Es sind an vielen Stellen bürokratische Monster entstanden und die positiven Versprechen der Digitalisierung haben sich an vielen Stellen noch nicht erfüllt. Vielmehr gilt es die Digitalisierung in den Organisationen voranzutreiben. Dazu gehört es, Prozesse zu optimieren und oft ganz neu zu denken. Dies kostet Zeit und fordert viel Energie. Nebenher gilt es oft, volle Auftragsbücher bei Lieferengpässen und in einigen Bereichen tägliches Umplanen und nicht besetzte Stellen zu kompensieren. Es müssen also viele Anforderungen erfüllt werden, und genau das wird gerade im Arbeitsleben immer mehr hinterfragt. Viele – nicht nur junge Bewerbende und Mitarbeitende – sind nicht mehr bereit, sich diesem Druck auszusetzen, suchen nach einer stärkeren „Work-Life-Balance“. Denn klar ist auch: die Berufslaufbahn ist keine Kurzstrecke, wir müssen alle länger arbeiten und gesund bleiben.

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