Von Ingeborg Obi-Preuß, 07.11.2015.
Braunschweig. „Der kommende Montag ist ein entscheidender Tag für eine gute demokratische Kultur“, sagt Dietmar Schilff, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen, angesichts der geplanten Demonstrationen von „Bragida“ und dem „Bündnis gegen Rechts.“
Es sei an diesem besonderen Datum besonders wichtig, die Werte zu leben, die vermittelt werden sollen. „Friedfertigkeit muss im Vordergrund stehen“, appelliert der Polizist, „hier gilt es zu zeigen, dass man anders ist.“ Anders im Sinne von demokratisch, friedlich und fair. „Auspfeifen ja“, sagt Schilff, „Gewalt nein.“
Gewerkschaftsposition
Bereits seit Anfang des Jahres steht das Thema „Flüchtlinge“ regelmäßig bei der Gewerkschaft der Polizei auf der Tagesordnung, es gab Kongresse, Tagungen, Gespräche, schließlich ein Thesenpapier.
„Wir haben uns deutlich gegen Auffangzentren an den Binnengrenzen ausgesprochen“, erklärt Schilff, das sei nicht praktikabel, es würden „Lager“ entstehen, die niemand wollen könne.
Die Sicherung der europäischen Außengrenzen dagegen sei notwendig. „Die Flüchtlinge müssen dort registriert werden, das heißt, wir brauchen Fotos und Fingerprints.“ Und eine Datenvernetzung, damit registrierte Flüchtlinge überall in der EU identifizierbar sind. „Eine Forderung, die wir schon lange stellen“, betont Schilff.
Bundeswehr hilft
Die Registrierung sei allerdings nicht allein durch Beamte der Bundes- und der Länderpolizeien möglich.“ Deshalb begrüßt die GdP auch ausdrücklich die Ankündigung von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die Bundeswehr stärker bei der Flüchtlingshilfe einzubinden. „Grundsätzlich darf die Bundeswehr nur im Katastrophenfall zivile Aufgaben übernehmen, aber dieses Gesetz könnte durchaus weiter ausgelegt werden“, sagt Schilff.
Die GdP fordert, die Flüchtlinge beispielsweise mit Fähren in der Türkei abzuholen, um ihnen die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer zu ersparen und die Schleuserbanden überflüssig zu machen. Auch das Abholen mit Bussen von den Außengrenzen der EU sei für ihn denkbar. Parallel dazu müsse das Ringen um eine Verteilungsquote für ganz Europa weitergehen. „Es gibt rund 760 Millionen Europäer, da sind wir von einer Überfremdung noch weit entfernt“, ordnet Schilff ein.
Erinnern hilft auch
„Nach dem Zweiten Weltkrieg waren zwölf Millionen Deutsche auf der Flucht – und sind aufgenommen worden“, erinnert der Gewerkschaftsmann an die jüngste Geschichte, „wer das nicht weiß, der braucht Fortbildung.“
Heute seien weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht, ein Teil davon werde nach Europa kommen. Für die Polizeigewerkschaft steht es außer Frage, dass ein Einwanderungsgesetz dringend notwendig sei. „Die Vermittlung unserer Werte, unserer Kultur und unseres Grundgesetzes als Leitlinie des Zusammenlebens ist immens wichtig“, sagt Schilff. Auch Sprachkurse und Bildung müssten verpflichtend organisiert werden: „Flüchtling ist schließlich kein Beruf.“ Viele der heutigen Zuwanderer würden in der Zukunft wichtige Mitbürger werden. „Denn wenn wir den Demografen glauben dürfen, verlieren wir bis 2050 zwanzig Prozent der Bevölkerung“, sagt Schilff.
Aber – „ich verstehe auch das Bauchgrummeln, die Ängste in Teilen der Bevölkerung vor einem ‘Zuviel an Fremden’“, räumt Schilff ein. Aber bisher gäbe es keine Gründe für diese Angst. „Die Steuerschätzung der niedersächsischen Finanzkasse geht von einem Plus von 1,6 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr aus“, verweist er auf eine sehr gute wirtschaftliche Situation.
Sicherheit bleibt Thema
Und auch an den Kriminalitätsstatistiken lasse sich keine Verschlechterung der Lage durch die Flüchtlinge ablesen. Allerdings gebe es einen deutlichen Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Sicherheit. „Die Zahlen können noch so gut sein, für die subjektive Sicherheit wollen die Bürger Polizisten und Streifenwagen auf ihren Straßen und in ihren Wohnvierteln sehen“, macht er deutlich.
Dafür – und für vieles mehr – sieht er einen Bedarf von rund 1000 neuen Stellen für Polizisten in Niedersachsen. „Denn wir müssen und wollen uns um die Flüchtlinge kümmern, aber die anderen Aufgaben und die Einheimischen nicht vernachlässigen“, betont Schilff. Die Stellenforderung ist nicht neu, durch die Flüchtlingssituation allerdings gebe es jetzt deutlich mehr Bereitschaft aus der Politik zur Umsetzung.
Fakten
Der 9. November – trauriges Gedenken an die Reichspogromnacht 1938, Freude über den Mauerfall 1989 – ein sehr besonderer Tag. „Bragida“ und das „Bündnis gegen Rechts“ haben jeweils Demonstrationen für diesen Tag angemeldet, „Bragida“ darf wie gewünscht auf den Platz der Deutschen Einheit, das „Bündnis gegen Rechts“ muss auf den Domplatz ausweichen. Das sogenannte „Erstanmeldeprivileg“ als auch der örtliche Bezug hätten der Stadt als Genehmigungsbehörde keine rechtssichere Alternative gelassen, erklärte Ordnungsdezernent Claus Ruppert (siehe dazu auch nB vom Mittwoch oder www.unser38.de.